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Honigsüßer Tod

Honigsüßer Tod

Titel: Honigsüßer Tod
Autoren: Stefan Alexander; Ummenhofer Rieckhoff
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1. Rosenzettel
    Hubertus Hummel fühlte sich leicht und frei: die großen
Ferien. Endlich. Als Lehrer freute er sich mittlerweile mindestens ebenso sehr
wie damals vor drei, vier Jahrzehnten, als sie beim ersten Klingeln und in
kindlichem Übermut johlend in den Pausenhof gestürmt waren. Allein schon wegen
seines Gewichts war für Hubertus an Stürmen aber nicht mehr zu denken. Er
trottete eher bedächtig in Richtung Eigenheim, entlang den Einfamilienhäusern
in der Villinger Südstadt, auf die die Sonne ihre kräftigen Strahlen lenkte.
    Mitten auf der Hummelschen Haustür prangte ein mit einer
Rosengirlande verzierter Klebezettel.
    »Blumen JEDEN Abend gießen, Rasen
sprengen. BITTE «, stand in Elkes mädchenhafter
Schönschrift auf dem Papier. Es war exakt mittig auf die weiße Holztür geklebt.
    Hubertus zog den Zettel ab und fuhr sich durch die verschwitzten
Haare, die seinen runden Kopf nur noch spärlich bedeckten. Typisch an  dieser Bewegung war auch, dass sie mit einem
leichten Kratzen der Fingernägel am Hinterkopf endete.
    Was sollte so ein Hinweis auf der Haustür? Sollten auch die Nachbarn
mitbekommen, dass er seine Pflichten vernachlässigte? Die nahmen ohnehin zu
regen Anteil an seinem Leben.
    Die Sonne schien plötzlich nicht mehr wohltuend, sondern schlichtweg
heiß. Zu heiß. Jedenfalls für seine 104 Kilogramm.
    Verbürgen hätte er sich für die genaue Kilo-Angabe übrigens nicht
können. Die letzte Zwangswiegung beim Arzt war etwa fünf Jahre her – und damals
hatte er schon das Gefühl gehabt, das Ding müsse defekt sein oder der Mediziner
die Waage irgendwie manipuliert haben, um ihn behandlungsbedürftiger erscheinen
zu lassen. Über hundert? Er?
    93 Kilo, gut. 95
vielleicht, nach Weihnachten. Aber maximal.
    Schnaufend schleppte er sich über die Schwelle des 50er-Jahre-Häuschens.
    Die nächste Nachricht erwartete ihn nur wenige Schritte weiter im
Flur – am Spiegel, der zwischen einem eisernen Gott Shiva und einem golden
schimmernden Buddha hing.
    Das Bodenständige innerhalb ihrer vier Wände ging auf Hubertus
zurück: Bücher über die Schwäbisch-Alemannische Fasnacht, Bildbände über
Zähringerstädte und Jubiläen heimischer Vereine, natürlich auch die geläufige
Belletristik von Simmel bis Stephen King.
    Die deutschen Klassiker, die er für den Schulunterricht benötigte,
befanden sich im Arbeitszimmer. Er respektierte sie, richtig zu Herzen gingen
ihm aber weniger Goethe und Schiller  als
Narro und Morbili – die Villinger Fasnachtsfiguren.
    Für den bunten Religionsmischmasch im Hause Hummel zeichnete Elke
verantwortlich. Synkretismus hieß eine solche Mischung, das wusste Hummel. Als
Lehrer wurde von einem ohnehin erwartet, dass man über so gut wie alles
Auskunft geben konnte. Er wusste in aller Bescheidenheit – nun, ja – ziemlich
viel. Mit seinen Mitte 40 war Hummel
Bildungsbürger, wie er bodenständiger Schwarzwälder war. Und wer das für einen
Widerspruch hielt, dem konnte er durchaus einen einstündigen Vortrag darüber
halten. Bodenständigkeit, so sagte er stets, sei nicht mit Oberflächlichkeit
oder gar Dummheit zu verwechseln. Im Gegenteil.
    »Villingen trifft Freiburg«, sagte sein Journalistenfreund Klaus
Riesle über Hubertus – und das war nicht ganz falsch. Die Jahre an der Uni
hatten durchaus die eine oder andere Spur bei Hummel hinterlassen, aber im
Grunde seines Herzens war er immer ein echter Villinger geblieben. Ein
traditionsbewusster, stolzer Kleinstädter.
    Elke war anders: feingliedriger, zarter – in jeder Hinsicht. Sie
hatte aus der Zeit ihres Freiburger Lehramt-Studiums die Begeisterung für alles
Spirituelle mitgenommen – wenn es nur unkonventionell daherkam. Problemlos
konnte sie binnen einer Woche von der Schamanen-Anhängerin über die Buddhistin
und Hinduistin zur UFO -Gläubigen mutieren – oder
all das miteinander mischen, denn Elke war ständig auf der Suche.
    Er sei froh, dass sie sich keinen langen Bart wachsen lassen könne,
hatte Hubertus erst neulich gespottet. Sonst wäre sie bestimmt schon beim
radikalen Islam angekommen, und er hätte die CIA am
Hals. Selbstmordattentate kamen in der bürgerlichen Südstadt schließlich doch
eher selten vor.
    Hinter solch Flapsigkeiten steckte die Erkenntnis, die auch einem flüchtigen
Besucher des Hummelschen Hauses eigentlich nicht verborgen bleiben konnte:
Weder die Einrichtungs-Stile noch die Weltanschauungen, noch die Hobbys der
beiden Bewohner bildeten eine harmonische Einheit.
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