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Vom Wahn zur Tat

Vom Wahn zur Tat

Titel: Vom Wahn zur Tat
Autoren: Thomas Stompe
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hat sich nicht geändert? Was hat sich im Besonderen an den Risikofaktoren geändert? Beeinflussen die Änderungen das Risiko erneuter Straftaten oder sind sie diesbezüglich bedeutungslos? Daneben erfolgt eine spezifische Evaluierung der vor Therapiebeginn erfassten Profile durch standardisierte Fragebögen.
    Wenn der Patient in der Behandlung Fortschritte macht und eine Entlassung ins Auge gefasst wird, muss der Therapieerfolg durch Lockerungen erprobt werden. Begonnen wird mit Ausgängen in Begleitung von Justizwachebeamten oder Pflegepersonen. Verlaufen diese Ausgänge ohne Zwischenfälle und erweist sich der Patient sozial als ausreichend kompetent, wird ein sozialer Empfangsraum gesucht, in den der Patient nach der bedingten Entlassung integriert werden soll. Dabei handelt es sich zumeist um betreute Wohnmöglichkeiten, in denen soziale Beziehungen mit Kontrollfunktion verfügbar sind. Voraussetzung für eine Entlassung ist, dass die Compliance auch in den folgenden Jahren überprüfbar sein muss. Vor allem die Weiterführung der psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung muss gewährleistet sein. Es dürfen keine prädestinierten Opfer (z. B. Kinder bei Pädophilen) in der unmittelbaren Umgebung verfügbar sein und die finanzielle Versorgung muss vorab geklärt sein, damit nicht aus einer Mangelsituation heraus eine Deliktbereitschaft entsteht. Bevor mit diesen Lockerungen begonnen wird, muss ein hausinternes Prognosegutachten erstellt werden, das unter anderem die strukturellen und inhaltlichen Erfordernisse des Empfangsraums und der Nachbetreuung für den individuellen Patienten darlegt.
    Der soziale Empfangsraum und die Nachbetreuung sind die zentralen Bestandteile, von deren Qualität die zukünftige Sicherung einer erfolgreichen intramuralen Therapie abhängig ist. Den aus dem stationären Maßnahmenvollzug entlassenen Patienten wird in der Regel vom Vollzugsgericht die Weisung erteilt, Wohnsitz in dem zuvor erprobten Wohn-, Pflege- und Seniorenheim oder in einer Wohngemeinschaft zu nehmen. In Einzelfällen kann der Entlassene direkt in eine eigene Wohnung oder zu Angehörigen ziehen. Die Wahl des sozialen Empfangsraums hängt von Art und Schweregrad der Krankheit sowie den fortbestehenden Defiziten oder erworbenen Kompetenzen in der Alltagsbewältigung ab. Wesentliche sicherzustellende Faktoren sind die medikamentöse Compliance, die Einhaltung der Alkohol- und Drogenkarenz sowie die Einhaltung der psychiatrischen Ambulanz- und Psychotherapietermine. Erweist sich der Patient als hinreichend psychisch stabil und compliant und ist er in der Lage, sich im Alltag ausreichend selbst zu versorgen, so kann er nach einer ausreichenden Beobachtungszeit in eine zumeist kostengünstigere unbetreute Wohngemeinschaft überstellt werden oder in eine eigene Wohnung ziehen. Die Entscheidung, ob und zu welchem Zeitpunkt mit den Lockerungen zur Erprobung des sozialen Empfangsraums begonnen werden kann, obliegt dem Kommando der Justizwache und der Anstaltsleitung. Schrittweise wird dabei der Patient also wieder an die Gesellschaft herangeführt. Erst dadurch kann sich die Stabilität von Krankheitseinsicht, Compliance, Impulskontrolle und Werteneuorientierung erweisen, die zentrale Kriterien für eine gelungene Reintegration darstellen. Dieser Prozess, dessen Ziel die Entlassung ist, ist auf jeder Stufe umkehrbar, falls sich die Compliance als instabil erweist oder es Anzeichen für eine Wiederaufnahme krimineller Verhaltensweisen innerhalb oder außerhalb der Institution gibt.
    Die Behandlung im Maßnahmenvollzug ist insgesamt als Erfolgsmodell zu betrachten. Während 40 bis 60 Prozent der entlassenen Gefängnisinsassen neuerlich Delikte begehen, werden nach Auswertung der uns vorliegenden Zahlen nur acht Prozent der Maßnahmenpatienten mit zumeist geringfügigen Straftaten rückfällig. Es bleibt jedoch ein bitterer Nachgeschmack zurück. Wenn bereits im Vorfeld der Tat ähnlich viel Energie in die Behandlung von zugegebenermaßen sehr schwierigen Hochrisikopatienten gesteckt worden wäre, hätte wohl einiges Leid, vor allem auf Seiten der Opfer, aber auch auf Seiten der Täter vermieden werden können.

GLOSSAR
    Affektverflachung: Herabgesetzte Gefühlsempfindung und -ansprechbarkeit, häufig bei chronischen schizophrenen Psychosen.
    Antrieb: Eine nicht direkt, sondern nur in ihren Wirkungen sichtbare, nicht genau bezeichnete ungerichtete „Kraft“, die Grundlage einer jeden Verhaltensäußerung
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