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Vom Schlafen und Verschwinden

Vom Schlafen und Verschwinden

Titel: Vom Schlafen und Verschwinden
Autoren: Katharina Hagena
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abgemäht.
    – Ach, ja?
    Marthe runzelte die Stirn.
    – Aber das braucht dich nicht zu beunruhigen. Du Glückliche bist ja nicht ihre Mutter. Sicher ist sie bei Adrian, ich frage mich nur, warum sie mir nicht gesagt hat, wohin sie wollte. Einfach zu verschwinden ist nicht ihre Art.
    – Ja, so etwas ist immer schwierig.

    Ich schloss die Tür auf und ließ Marthe vor mir eintreten.
    – Es scheint aber ein roter Faden zu sein, der sich durch mein Leben zieht.
    Heidruns Koma brachte mich an meine Grenzen, die Geschichte mit Benno setzte mir zu, und Orla war nicht dort, wo sie sein sollte. Es fühlte sich an, als platzte meine Haut gleich an mehreren Stellen auf. Aber musste ich Marthe deshalb sofort mit meinem herausquellenden Innenleben quälen?
    Sie schaute mich an.
    – Was meinst du damit?
    Vielleicht, weil sie so unbeteiligt klang und mich gleichzeitig so durchdringend ansah, vielleicht, weil Heidrun bereits so weit weg war, aber auch vorher schon nichts hatte hören wollen, vielleicht, weil Orla und Marthe beim Chor ihre Köpfe zusammengesteckt hatten, vielleicht weil mir aufgefallen war, dass ich überhaupt nichts von Marthe wusste, vielleicht weil sich Benno mir entzogen hatte, vielleicht weil ich doch beunruhigt war über Orlas Verbleib, entfuhr mir, worüber ich nie sprach:
    – Ach, bei ihrem Vater ist es mir genauso gegangen.
    – Wirklich? Das tut mir leid. Dann ist es wohl gut, dass du ihn verlassen hast. So war es doch, oder? Du bist aus Irland fortgegangen?
    Sie fasste sich an den Kopf und schaute zu Boden. Nach einer Weile schaute sie auf und sagte ruhig:
    – Entschuldige, Ellen, das geht mich gar nichts an. Joachim hat es einmal erwähnt. Bitte entschuldige.
    Sie runzelte die Stirn, ihre Hände zuckten auf ihrem Schoß. Als sie meinen Blick bemerkte, faltete sie die Finger fest ineinander.
    – Marthe, ich sage dir jetzt was. Es ist eigentlich kein Geheimnis, aber ich rede nicht gern darüber, und so ist vielen nicht klar, dass Declan nicht Orlas Vater ist. Orla weiß esnatürlich. Declan ist der einzige Vater, den Orla je gekannt hat, aber ich war schon schwanger, als ich ihn kennenlernte. Viele Leute im Dorf glauben, ich hätte das Kind aus Irland, und ich belasse es dabei. Aber eigentlich ist es von hier. Orlas leiblicher Vater ist einfach verschwunden.
    – Verschwunden.
    – Ja.
    – Von hier?
    – Ja, warum?
    Ich weiß nicht, ob ich es mir einbildete, aber ich hatte das Gefühl, dass Marthe mir nicht glaubte. Etwas in ihrem Tonfall machte, dass ich den Drang verspürte, mich rechtfertigen zu müssen. Ich merkte, dass es noch immer in mir schwelte und dass ich darüber reden wollte. Marthe war weit genug von mir und der Sache entfernt, zu der Zeit wohnte sie ja noch nicht einmal hier. Vielleicht war ich auch nur aufgebracht, weil ich nicht wusste, wo Orla war. Sie hätte sich doch denken können, dass ich an dem Labyrinth vorbeifahren würde.
    – Ja, verschwunden, von einem Tag auf den anderen. Er kam nicht von hier, wohnte nur im Sommer bei seinem Vater, ein Scheidungskind. Sein Vater wusste auch nicht, wohin er gegangen war, er hatte einen Brief geschrieben, in dem er sagte, dass es ihm zu viel sei und er Zeit brauche oder so etwas. Aber er hat ihn nicht mir geschickt, der Feigling. Der Vater zog weg, ich glaube, er war krank, doch da war ich selbst schon nicht mehr hier.
    Marthe starrte mich an.
    – Aber Orla, ich meine, der Name --
    Sie brach ab.
    Ich fragte mich, ob sie wirklich so entsetzt darüber sein konnte, dass ich ein uneheliches Kind hatte. Auch mit Declan wäre es unehelich gewesen. Ich versuchte, das Thema zu wechseln.

    – Ja, Orla ist ein irischer Name, aber sie ist kein irisches Kind. Er bedeutet »die Goldene«. Marthe, wusstest du, dass Benno im Wald Gold wäscht? Weißwein oder Rotwein? Marthe?
    – Aber Orla singt ––
    – Oja, alle Felds singen Sopran. Nur Orla eben nicht. Das kannst du schließlich am besten beurteilen, ihr habt ja die gleiche Stimme.
    Sie blickte mich an, schien mich aber weder zu sehen noch zu hören. Ich schaute in ihre geweiteten, glänzenden Augen und fragte mich, ob sie vielleicht Tabletten nahm.
    – Die gleiche Stimme!
    Marthe schrie es förmlich, dann schüttelte sie den Kopf und lachte laut. Ich sah sie mir genau an, ihre Haut war aschfahl. Was sollte ich tun? Am besten, ich fuhr sie mit dem Auto nach Hause, oder sollte ich sie über Nacht bei mir behalten und beobachten?
    – Marthe, ich glaube, du bist nicht ganz stabil heute. Ich
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