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Vom Schlafen und Verschwinden

Vom Schlafen und Verschwinden

Titel: Vom Schlafen und Verschwinden
Autoren: Katharina Hagena
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Baby verschwunden. Wahrscheinlich gestorben. Doch Frau Seith sagt, es habe seitdem das Gerücht gegeben, dass zwei Angler am Rhein gesehen hätten, wie eine Frau nachts ein Bündel vom Fähranleger in den Fluss geworfen habe.
    – Und Hugo?
    – Ich weiß nicht, die Aufzeichnungen aus der Kiste werden immer spärlicher, und irgendwann enden sie. Vielleicht hatte er keine Lust mehr zu schreiben oder kein Papier, vielleicht hat er es zum Feuermachen gebraucht. Er schreibt jedenfalls, dass er für den Winter Holz gesammelt habe.
    – Wenn er da draußen versucht hat, zu überwintern, hat er nicht überlebt. Nicht mit Unterernährung und Malaria.
    – Kann sein.
    – Ich habe dir erzählt, dass im Dorf die Sage vom Irren im Wald herumgeht, der mit einer Kindsmörderin durch die Rheinauen streifte.
    – Ja, ich weiß. Der Schuster hat sie dir erzählt, während er dich ––
    Benno brach ab und schaute zum Brombeerversteck. Er räusperte sich, sein Mund rollte sich ein, sodass die Lippen ganz verschwanden. Mit flacher Stimme sagte er schließlich:
    – Ja, ich habe auch an die Geschichte gedacht.
    – Glaubst du, das sind sie, Benno?
    Benno schaute auf, sein Blick war verhalten. Nach einer Pause sagte er langsam:
    – Alles, was ich glaube, habe ich abgegeben.
    Er wandte sich ab und ging zurück zum Wasser. Sein Rücken wirkte nicht so abweisend wie sein Gesicht, also folgte ich ihm. Auf dem Ufersand sah ich eine blaue Plastikschüssel und jenes hölzerne Gestell. Eigentlich war es nur ein langes Brett mit niedrigen Rändern an den Längsseiten. Auf das Brett waren wie bei einer Hühnerleiter kleine Querhölzer genagelt, und es stand auf zwei unterschiedlich hohen Böcken, sodass sich ein kleines Gefälle bildete. Am unteren Ende befand sich ein Eimer. Er war mit Matsch gefüllt.
    – Was tust du da?
    – Ich sagte doch, Gold waschen.
    – Ah. Wie Hugo?
    – Ja.
    – Schon was gefunden?
    – Ein bisschen. Na ja, eigentlich nichts. Nichts Besonderes.

    Ich schaute ihn an. Einerseits wollte er unbedingt sein neues Spielzeug vorführen, andererseits schien er Angst zu haben, jemand könnte es ihm wegnehmen, und so war er hin- und hergerissen zwischen Zeigen und Verschweigen. Alles, was ich glaube, habe ich abgegeben.
    Ich wurde plötzlich zornig. Er hatte mich abserviert, glaubte zwar, ich hätte ihn grausam behandelt, aber da ich es nicht getan hatte, lief alles darauf hinaus, dass er mich schlichtweg abserviert hatte, abgegeben. Schon wieder.
    Benno hatte eine Meise, warum hatte ich das nicht vorher gemerkt? Ich betrachtete eine Weile, wie er sich wand, dann sagte ich:
    – Zeig doch mal. Dein Gold.
    – Nee, nee.
    Er fuhr sich durch die zottigen Haare. Ich konnte sehen, wie tief er seine Geschwätzigkeit bedauerte.
    – Hab’s eh nicht hier.
    – Wetten, du hast es in den Brombeeren? Hol es doch raus, dann kann ich dich bei dieser Gelegenheit endlich mal wieder einsperren, wie es so meine Gewohnheit ist. Wie die Hexe den Hänsel. Ich habe diese Woche erst zwei meiner Patienten im Schlaflabor eingeschlossen, wo sie die ganze Nacht an der Tür gerüttelt haben, bevor sie weinend zusammengebrochen sind, der eine hat sich dabei in die Hose gemacht. Da hat es sich zumindest gelohnt. Trotzdem nur zwei. Das reicht bei Weitem nicht, wie du dir denken kannst.
    – Ellen. Ich habe keine Lust ––
    – Nein, ich auch nicht, glaub mir. Vielleicht kannst du ja deinen Robinson-Komplex mit einem anderen Freitag ausleben. Frag doch mal Marthe, sie schleicht schließlich auch ständig im Wald herum, vielleicht mag sie ja mit dir in die Brombeeren gehen. Ich für meinen Teil habe in diesem Leben schon genug Kindergeburtstag gefeiert, Benno.
    Er schaute mich an, aber ich spürte, während ich nochsprach, dass er längst auf dem Rückzug war, wie seine Gedanken in eine andere Richtung liefen. Sie streiften mich nicht einmal mehr. Ich dachte daran, dass er noch vor Kurzem auf der Erde gesessen, mit dem Rücken an eine Trauerweide gelehnt und mir beim Anziehen zugesehen hatte.
    Als ich an jenem Tag an ihm vorbeigegangen war, um meine Jacke zu holen, die er über einen Ast gelegt hatte, hatte er die Hand ausgestreckt, damit mein Körper sie streifte. Von meiner Hüfte glitt sie ein kurzes Stück über meinen rechten Oberschenkel, eine beiläufige Berührung. Er hatte seine Hand in meine Laufbahn gehalten, ganz ohne nachzudenken, so wie man in einem Ruderboot träge seine Hand über den Rand hängen lässt, einzig für das Gefühl von Wasser
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