Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vom Schlafen und Verschwinden

Vom Schlafen und Verschwinden

Titel: Vom Schlafen und Verschwinden
Autoren: Katharina Hagena
Vom Netzwerk:
Krankenhaus, kurz in die Bibliothek. Es ist Montag. Müde oder schläfrig, schlaflos oder wach, ich fange heute meine Einleitung an, mit der die Arbeit an meiner Geschichte des Schlafs endet.
    Die eigene Geschichte.
    Ich hätte gern eine Einleitung wie das Radnetz einer Spinne: Einen Faden zwischen zwei Punkte spannen, abseilen und am Boden verankern. Von der Mitte aus weitere Strahlen und Speichen nach außen schicken, einen haltbaren Rahmen bauen, und diesen sowie die Speichen mit einer Hilfsspirale von innen nach außen hin befestigen. Dann erst, ganz am Ende, kommt die klebrige Fangspirale. Sie wird von außen nach innen in die Speichen gewoben, enger und enger werdend, bis sie in der Mitte endet. Die Hilfsspirale wird dabei aufgefressen.
    Es gibt so viele wilde Tiere in der Stadt, eigentlich viel mehr als auf dem Land. Jedenfalls sehe ich sie öfter. Die hässlichen Hunde, krallenlosen Katzen, schrillen Papageien und durchgeknallten Reptilien meine ich gar nicht. Nein, ich meine die Buntspechte, die in der Wärmedämmung der Häuserfassaden leben. Die urbanen Wildschweine, die von den Komposthaufen der Einfamilienhäuser naschen, Füchse zwischen Mülltonnen, Nebelkrähen, Möwen und Schwäne, die schon wie Tauben ins Stadtbild gehören. In den Parks schreien Käuzchen, Bussarde und Falken. Und schließlich war da noch jene Nachtigall an der Kreuzung.
    Und die Ochsenfrösche im Baggersee. An ihr Quaken habe ich mich nie gewöhnen können, und ich bin nicht besonders empfindlich. Selbst den Hamburger Flugzeuglärm kann ich ausblenden. Was wusste Andreas? Aber das frage ich mich erst jetzt, damals muss ich geschlafen haben. Irgendetwas habe ich nicht mitbekommen.

    Als Orla eine Stunde nach Joachims Anruf nach Hause kam, war ich zu aufgelöst, um ihr zuzuhören.
    – Andreas spinnt, oder?
    – Hm?
    –   Er kam plötzlich angefahren, ich habe gerade das 3-D-Labyrinth unter dem Hochspannungsmast klargemacht, Adrian war auch dabei. Ich habe unseren alten Wasserschlauch dafür benutzt, durfte ich doch, oder? Und da ist Andreas aus dem Wagen gestiegen, hat sich auf meine Tasche gestürzt und sie durchwühlt. Er hat die Thermoskanne genommen, sie aufgemacht, daran gerochen und sie ausgeschüttet. Hat der sie noch alle?
    – Ja, nein, weiß nicht. Hattest du nicht Maislabyrinth gesagt?
    – Nein. Wo lebst du eigentlich? Der Mais ist doch schon seit Wochen gemäht.
    – Das hättest du ja mal sagen können, dass du beim Hochspannungsmast bist, überhaupt, bei welchem? Ich dachte, du wärst im Mais!
    – Du fährst jeden Tag am Mais vorbei. Das musst du doch gemerkt haben.
    Orla sah mich besorgt an.
    – Ist auch egal, Mama. Was ist hier überhaupt los?
    Ich zuckte die Schultern und sagte, dass Heidrun gestorben sei, und da fing sie an zu weinen, und ich weinte auch. Über Andreas haben wir nicht mehr gesprochen, sondern sind bald ins Bett gegangen. Sie kam mit in meines.
    Am nächsten Morgen nahmen wir uns beide frei und fuhren zu Joachim. Das meiste hatte er schon vorbereitet, er hatte ja gewusst, wie es enden würde. Der Tag X war ein Mittwoch.
    Auf der Beerdigung sangen wir nicht Dowland. Die Trauergemeinde sang. Frau Stern spielte Bach. Marthe war seit Heidruns Tod nicht mehr aufgetaucht, erst wusste niemand,wo sie war, später hieß es Selbstmord, aber das berührte mich zunächst kaum, ich war wie in einer Blase. Benno sah ich kurz, als wir am Grab standen. Unentschlossen stand er auf dem Friedhof herum, ein Schatten seiner selbst.
    Ich muss die Letzte gewesen sein, die Marthe gesehen hat. Kurz nach der Beerdigung befragte mich die Polizei. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte.
    Ich weiß es. Ich fühle mich wie nach einer Vollnarkose, wenn die Sinne nicht gleichzeitig aufwachen. Ich höre etwas, kann aber die Augen nicht öffnen. Da ist etwas, aber des Menschen Ohr hat’s nicht gesehen.
    Der Tag scheint hell in mein Zimmer. Ich muss raus aus dem Bett.
    Am Tag nach der Nacht, in der Heidrun starb, bemerkte ein Waldläufer den Wagen auf dem Parkplatz am Baggersee. Die Fahrertür stand weit offen. Als er auf dem Rückweg wieder an dem Auto vorbeikam, schaute er hinein, es war leer. Er lief nach Hause und rief bei der Polizei an. Sie sollte vielleicht einmal einen Blick darauf werfen.
    Zwei Stunden später durchsuchten ein Polizist und eine Polizistin das Auto von Marthe Grieß. Sie fanden weiter nichts Verdächtiges und schlenderten hinunter zum See.
    Auf dem Sand stand ein Paar flacher brauner Damenschuhe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher