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Ein Lotterie-Loos

Ein Lotterie-Loos

Titel: Ein Lotterie-Loos
Autoren: Jules Verne
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I.
    »Wie viel Uhr ist es? fragte Frau Hansen, nachdem sie die Asche aus ihrer Pfeife geschüttelt, deren letzte Rauchwölkchen sich zwischen den buntfarbigen Deckenbalken verloren.
    – Um acht Uhr, Mutter, antwortete Hulda.
    – Es ist nicht anzunehmen, daß während der Nacht Reisende ankämen; das Wetter ist zu schlecht.
    – Ich glaube auch nicht, daß Jemand kommt. Jedenfalls sind unsere Stuben in Stand gesetzt, und ich würde es gewiß hören, wenn Einer von draußen riefe.
    – Dein Bruder ist noch nicht zurückgekommen?
    – Noch nicht.
    – Hat er nicht hinterlassen, heute wieder heimzukehren?
    – Nein, Mutter. Joël bringt einen Reisenden nach dem Tinn-See, und da er erst ziemlich spät weggefahren ist, glaub’ ich nicht, daß er vor morgen nach Dal zurückkehren kann.
    – Er wird also in Moel übernachten?
    – Wahrscheinlich, wenn er nicht noch bis Bamble fährt, um einen Besuch bei dem Pächter Helmboë abzustatten…
    – Und bei dessen Tochter?
    – Gewiß, auch um Sigrid, meine beste Freundin, zu sehen, die ich wie eine Schwester liebe! erwiderte lächelnd das junge Mädchen.
    – Nun, so schließ’ die Thür, Hulda; wir wollen schlafen gehen.
    – Du bist doch nicht wieder leidend, Mütterchen?
    – O nein, ich denke sogar, morgen recht frühzeitig aufzustehen. Ich muß nun einmal nach Moel…
    – Nach Moel?… Warum?
    – Ei, müssen wir nicht daran denken, unsere Speisekammern für die bevorstehende Jahreszeit gefüllt zu erhalten?
    – So ist der Bote von Christiania mit seinem Wagen voll Speisen und Getränken in Moel schon eingetroffen?
    – Ja, Hulda, diesen Nachmittag, bestätigte Frau Hansen. Lengling, der Werkführer in der Sägemühle, ist ihm begegnet und hat es mir im Vorübergehen mitgetheilt. Unsere Vorräthe an Schinken und geräuchertem Lachs sind stark zusammengeschmolzen, und ich mag nicht Gefahr laufen, deshalb erst in Verlegenheit zu kommen. Jeden Tag, vorzüglich wenn die Witterung sich bessern sollte, können die Touristen nun ihre Ausflüge durch Telemarken wieder beginnen. Unser Haus 1 muß ebenso bereit sein, diese aufzunehmen, wie ihnen alles für ihren Aufenthalt Erforderliche liefern zu können. Weißt Du, Hulda, daß wir schon den fünfzehnten April schreiben?
    – Ach ja, schon den fünfzehnten April! murmelte das junge Mädchen.
    – Morgen also, fuhr Frau Hansen fort, werde ich alles Nöthige besorgen. Binnen zwei Stunden können meine Einkäufe abgemacht sein, die der Bote hierher schaffen mag, während ich mit Joël im Schußkarren zurückkomme.
    – Wenn Du dabei den Postcourier träfst, liebe Mutter, so vergiß ja nicht zu fragen, ob er etwa einen Brief für uns hat…
    – Vorzüglich einen für Dich! Das wäre wohl möglich, den Oles letztes Schreiben ist nun schon einen Monat alt.
    – Ja, einen Monat… einen ganzen langen Monat alt!
    – Sorge Dich darum nicht, Hulda, an einer solchen Verzögerung ist doch nichts zu verwundern. Und wenn der Postcourier von Moel nichts mitgebracht hätte, kann das, was über Christiania nicht eintraf, nicht etwa über Bergen kommen?
    – Gewiß, liebe Mutter, darum härme ich mich auch nicht. Mir wird das Herz nur so schwer, weil es von hier bis nach den Fischgründen von New-Found-Land gar so weit ist. Von dort gilt es ein ganzes Weltmeer zu durchsegeln, und obendrein bei schlechtem Wetter. Nun ist mein armer Ole schon fast ein ganzes Jahr lang fort, und wer weiß, ob wir ihn überhaupt in Dal wiedersehen werden!…
    – Wenn wir nur bei seiner Rückkehr noch hier sind!« murmelte Frau Hansen, aber so leise, daß ihre Tochter es nicht verstehen konnte.
    Hulda schloß die Thür des Gasthauses, welche auf die Straße nach dem Vestfjorddal hinausführte, nahm sich aber gar nicht die Mühe, den Schlüssel nur einmal im Schlosse umzudrehen. In dem gastlichen Norwegen sind solche Vorsichtsmaßregeln entbehrlich. Man hält es hier für selbstverständlich, daß jeder Reisende, am Tage wie in der Nacht, müsse in das Wohnhaus der Gaards (Gehöfte) oder Säters (Landgüter) eintreten können, ohne daß ihm Jemand erst zu öffnen brauchte.
    Eine Heimsuchung durch Landstreicher oder andere Uebelthäter ist hier weder in vereinzelten Pachthöfen, noch in den oft weit im Lande verlorenen Weilern zu befürchten, und kein verbrecherischer Anschlag gegen Gut oder Leben hat je die Sicherheit der friedlichen Bewohner gestört.
    Mutter und Tochter bewohnten zwei Stübchen an der Vorderseite des ersten Stockwerks der Herberge, zwei kühle
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