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Schwarzer Nerz auf zarter Haut

Schwarzer Nerz auf zarter Haut

Titel: Schwarzer Nerz auf zarter Haut
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ein greller Schrei zerriß den stillen, kühlen Morgen, brach sich zwischen den hohen, rotlackierten Schornsteinen und zerflatterte dann mit dem Wind, der vom Meer zum Land wehte. Fast gleichzeitig schlug klatschend ein Körper auf den Planken des Sonnendecks auf, mit ausgebreiteten Armen lag er da, als habe er noch versucht, den Fall in einen Flug umzuwandeln. Unter dem Kopf quoll Blut hervor und floß in einem schmalen Bach zur Reling.
    Vom Lido-Deck rannten Matrosen, Stewards und auch der III. Offizier die eisernen Treppen hinauf. Sie hatten den Körper fallen sehen, von der Verbindungsbrücke zwischen den beiden Kaminen, wo ein schmales Gerüst an dicken Tauen hing. Dort arbeiteten seit vier Tagen zwei Matrosen und strichen die Stege weiß, die Schornsteinköpfe schwarz und die Schornsteine selbst rot. Nun hing das Sitzbrett schief am Gerüst, pendelte hin und her, und der zweite Matrose klammerte sich verzweifelt an das Gestänge, das er eben noch weiß lackiert hatte.
    »Ein Tau ist gerissen!« brüllte jemand. »Verdammt, der andere fällt auch noch herunter!«
    Während zwei Matrosen die lange, pendelnde Strickleiter am linken Kamin hinaufkletterten, um den am Gerüst hängenden Matrosen zu befreien, beugte sich der III. Offizier über den Abgestürzten und drehte ihn langsam auf den Rücken. Dann griff er nach hinten, ein Steward reichte ihm stumm ein Handtuch, das er gerade in der Hand hatte, die anderen herumstehenden Matrosen nahmen die Mützen vom Kopf und senkten den Blick.
    Der III. Offizier deckte das Handtuch über den zerschmetterten Schädel des Toten und richtete sich auf. Vom Telefon des Bord-Tennisplatzes rief ein Steward hinunter ins Schiff zum Hospital. Aber da war noch niemand. Die Ärzte, die Schwestern, die Pfleger kamen erst zwei Tage vor der Abreise an. Aber zwei Putzfrauen waren da und sie schraken zusammen, als eine verzweifelte Stimme schrie:
    »Eine Trage! Sofort eine Trage aufs Sonnendeck. Und eine Decke. Schnell! Schnell!«
    »Wie konnte so etwas passieren?« fragte der III. Offizier. »Hier an dem Kahn ist doch alles neu.« Er sah empor zu den roten, in der kalten Morgensonne leuchtenden Schornsteinen. Der an der Verbindungsbrücke hängende zweite Matrose wurde jetzt von sechs Händen ergriffen und hinüber zur Strickleiter gezogen. »Wie kann ein neues Tau reißen? Das fängt ja gut an!«
    Aus dem Lift kamen die beiden Putzfrauen mit der Trage. Sie schwankten und wurden blaß, als sie den Mann mit dem Handtuch über dem Kopf sahen und die Blutbahn zur Reling. Der Bademeister vom Lido-Deck, der mit zum Sonnendeck gelaufen war, nahm ihnen die Decke ab, hüllte den Toten darin ein und winkte den anderen. Man hob den Körper auf die Trage, und im Laufschritt rannten zwei Matrosen zum Lift und verschwanden im Inneren des Schiffes. Zurück blieb eine Lache Blut, in der ein kleiner goldener Anker an einem zerrissenen Kettchen lag.
    »Sie können das sofort wegwischen«, sagte der III. Offizier zu den Putzfrauen, die mit entsetzensweiten Augen an der Reling standen. »Und kein Wort darüber zu anderen.« Er sah sich im Kreise um. »Das gilt für Sie alle! Wir wollen die Jungfernfahrt unseres stolzen Schiffes nicht gleich offiziell mit einem Toten anfangen. Das hier ist ein Unfall und damit eine schiffsinterne Sache. Er geht weder die Passagiere noch die Presse etwas an! In jeder Sekunde, die wir leben, geschieht irgendwo ein Unfall. Wir verstehen uns?«
    Die Matrosen, Stewards, der Bademeister, die Putzfrauen nickten stumm. Aber sie dachten alle das gleiche: Das ist ein schlechtes Omen. Die erste Reise eines Schiffes beginnt mit einem Toten – das kann nicht gutgehen! Ein Schiff sollte man mit Sekt taufen, aber nicht mit Blut.
    Seeleute sind abergläubisch, und sie wissen, warum.
    Gibt es etwas Geheimnisvolleres als das Meer?
    Eine Stunde später kam Kapitän Lars Selbach an Bord seines neuen, herrlichen Schiffes. Das schönste Schiff, das er je kommandiert hatte. Ein Schiff mit einem stolzen, siegessicheren Namen.
    ›Ozeanic‹.
    Beherrscherin aller Meere. Luxuspalast auf den Wellen. Eine kleine Stadt voll Herrlichkeiten und Reichtum. Ein Märchen aus Glas, Stahl, Chrom, Teppichen, Edelhölzern und Leder.
    Ein Schiff zum Verlieben.
    ›Ozeanic‹.
    Mit kantigem Gesicht stand Kapitän Selbach vor dem Toten. Man hatte ihn im Schiffslazarett aufgebahrt, auf dem OP-Tisch. Der Tote war umgezogen worden. Die Ausgehuniform des Verunglückten. Die Hände lagen gefaltet auf der Brust. Nur
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