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Vom Aussteigen und Ankommen

Titel: Vom Aussteigen und Ankommen
Autoren: Jan Grossarth
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aufgebraucht sei, habe er nicht. Denn er habe Gottvertrauen: »Es wird immer wieder einen Weg geben, wie wir zu Geld kommen.« Er war so entspannt wie seine Jogginghose.
    Reiner glaubte an eine Verkündung Gottes, die um 1900 an einen Herrn Franz Schumi erfolgt sein sollte. Demnach werde das Geld ganz von der Erde verschwinden und die nahe Zukunft der Weltwirtschaft in Tauschökonomien liegen.
    Das Wirtschaften als Selbstversorger war jedenfalls eine Kunst, und hörte man Heike zu, wie sie von ihren Kreisläufen erzählte, bekam Nachhaltigkeit, das schwammigste Wort der deutschen Sprache, plötzlich harte Konturen. Heike führte durch ihren Garten, und sie erzählte: »Wir trennen die Pisse und die Kacke, und Männer pissen sowieso dahin, wo sie wollen.« Den Urin aus den Klos verdünnten sie und gaben ihn dem Kompost bei, und der Kot kam im Eimer zu den Hühnern, ja, zu den Hühnern, die ihn fraßen, ja, die ihn fraßen.
    Das Spülwasser aus der Küche leiteten Heike und Reiner in einen Klärteich. Dort bauten Wasserpflanzen die Seifenstoffe ab, und der Wasserstand des Teichs, in dem Kröten und krötenfressende Nattern lebten – natürlich gab es Schlangen im Paradies –, blieb wegen der Verdunstung in etwa konstant. Die Abwasserklärung müsse in unserer Gesellschaft zukünftig anders gehen, sagte Heike: »Dass man zweihundert Milliliter Pisse mit zwei Litern Wasser mischt und etwas Kacke mit fünf Litern, um sie dann zu trennen, das kann so nicht weitergehen.« Sie erklärte, in den Kläranlagen der anderen Welt müsse sehr viel Energie aufgewendet werden, um das Feste wieder vom Flüssigen zu trennen. Weil sie die Energie nicht aufwenden wollten, richteten Reiner und Heike in ihrem kleinen Wasserkreislauf Komposttoiletten ein, parallel dazu ein Pissoir. Den Urin daraus schütteten sie mit Wasser verdünnt als Dünger auf die Felder, um den Kreislauf zu schließen.
    Neben Hühnern gab es Ziegen. Die lieferten bis zur Weihnachtszeit Milch, sie versorgten Heike und Reiner ein Dreivierteljahr, nur von Januar bis April, wenn das nächste Zicklein gekommen war, gab es eben keine Milch für die Menschen. Manchmal schlachteten die beiden auch ein Tier. Und zwar nur dann, wenn es zu viele Tiere gab, die sich nicht mehr gemeinsam halten ließen, wenn ein Ziegenbock zu viel da war oder wenn sich zwei Hähne ständig stritten. Veganer, fand Reiner, sähen sehr ungesund aus.
    Das Trink- und Nutzwasser kam aus einem eigenen Brunnen. Reiner hatte die Qualität des Wassers mit seinem Pendel geprüft, das Ergebnis war positiv. Sein Pendel hatte ihm zuvor auch die Wasserader für den Brunnen gezeigt. Da der Hof keinen Fließwasseranschluss an das öffentliche Netz hatte, blieb den beiden aber sowieso nur der Brunnen. Arbeit gab es das ganze Jahr lang, auch im Winter. Bis in den Dezember war viel zu tun, die Ernte dauerte bis in den November, es folgte die Verarbeitung des Saatguts, wochenlang. Die Arbeitssaison begann Mitte Februar wieder mit der Anzucht der Auberginen und des Winterporrees.
    Heike hatte auch schon eigene Seifen hergestellt, aus Kastanien, die Saponin enthielten, einen Seifenstoff. Damit wusch sie ebenso die Wäsche. Sie konnte fast alles produzieren, was die beiden zum Leben benötigen, dazu fehlte ihr allein die Zeit. Aber die Information, dass man alles Lebensnotwendige aus der Natur herstellen konnte – ohne Chemiekonzerne und Atomkraftwerke –, wirkte recht beruhigend. Heike konzentrierte sich auf die Lebensmittelproduktion. Die Kartoffelvorräte reichten das ganze Jahr, bis in den Januar gab es frische Paprika, und die Tiefkühltruhe hielt das übrige Gemüse im Winter frisch. Salatkaufen finde sie inzwischen komisch, da drehe sich ihr »das Herz« um, sagte Heike. Von einigen Gemüse- und Obstsorten ernteten die beiden viel mehr, als sie essen konnten: Erd-, Johannisbeeren, Gurken, Tomaten. Leute aus dem Ort konnten davon bekommen und spendeten dafür etwas, wenn sie wollten. »Festpreise sind ungerecht, weil der eine tausend Euro in der Stunde verdient und der andere von Hartz IV lebt«, sagte Heike. Deswegen Spenden, und deswegen waren sie auch im Uckertauschring sehr aktiv. Sie boten etwa Gemüsepflanzen oder Marmelade an.
    Zum Abendessen gab es Brezeln, selbstgemachten Ziegenkäse mit und ohne Knoblauch, und Reiner trank eine Halbliterflasche Oettinger Export. Er erzählte, er sei seit fünfzehn Jahren nicht mehr beim Arzt gewesen. Er war, wie Heike, nicht kranken- und rentenversichert. Das
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