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Voll daneben

Voll daneben

Titel: Voll daneben
Autoren: K. L. Going
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nach und frage mich, ob es schon zu spät ist, seine Meinung über mich zu ändern. Könnte ich es schaffen, in den nächsten paar Wochen ein völlig anderer Mensch zu werden? Jemand, mit dem mein Vater das Zusammenleben aushalten kann?
    Ich verlagere das Gewicht, damit mein Surfbrett mir nicht länger in den Rücken sticht. Es steckt halb im Auto, halb in der Luft. Ich hätte es zu Hause lassen sollen, aber Dad hat es mir in einem unserer Urlaube auf Hawaii geschenkt, und auch wenn er mich rausgeworfen hat, ist es immer noch das beste Geschenk, das ich je bekommen habe.
    Ich frage mich, ob Dad mich mochte, als wir auf Hawaii waren. Dort wirkte er immer entspannt. Wenn wir auf Hawaii statt in New York leben würden, vielleicht ...
    »Liam, hörst du mir überhaupt zu?«
    Ich blicke auf, weil Mom mir anscheinend etwas mitteilen will.
    »Wir sind da«, sagt sie und deutet mit dem Kopf auf den Straßenrand.
    Wir fahren in einen Wohnwagenpark hinein. Auf dem Schild an der Einfahrt steht GOLDEN MEADOWS. Ich wundere mich, warum Wohnwagensiedlungen und Seniorensiedlungen immer solche Namen tragen, vor allem, wenn in diesem hier weit und breit keine Wiese zu sehen ist. Noch nicht einmal sonderlich viel Rasen.
    Zu Hause haben wir eine maßgeschneiderte Grünanlage in zwei Stufen, für deren Entwurf und Pflege Dad Tausende von Dollar ausgibt, aber hier sieht man fast nur Schlamm und Gartendeko. Es gibt nichts Kitschigeres als Sachen, mit denen man den Garten dekoriert.
    Ein schlechtes Zeichen.
    Mom kurvt durch eine Reihe von Straßen und hält schließlich vor einem der Mobilheime. Ich würde es ja beschreiben, aber es sieht aus wie jedes andere Mobilheim. Es ist lang. Es ist rechteckig. Es ist beige. Mom hält an und steigt aus. An einem Picknicktisch sitzen vier Typen, die alle aufspringen und zu ihr laufen. Ich starre auf die Armatur, aber in Wahrheit beobachte ich sie aus den Augenwinkeln. Ich wünschte, ich könnte erkennen, wer von ihnen Tante Pete ist, aber es gelingt mir nicht. Anscheinend hat er vor zehn Jahren in Frauenkleidern anders ausgesehen.
    Doch Mom geht schnurstracks auf den Typ mit dem Bierbauch zu. Der hebt sie hoch und schwingt sie in der Luft herum. Beide lachen, und sie küsst ihn auf die stoppeligen Wangen.
    »Sarah, du siehst umwerfend aus!«, sagt er. Mom wirkt überglücklich, ihn wiederzusehen. So habe ich sie seit Jahren nicht mehr strahlen sehen. Für einen Augenblick habe ich wieder vor Augen, wie sie über den Laufsteg geht, meine strahlende Mutter. Dann stellt Tante Pete sie wieder auf die Füße, und sie umarmtdie anderen Typen, als wären es Brüder oder so was, die sie schon ewig nicht mehr gesehen hätte. Sie tun so, als hätten sie nicht bemerkt, dass ich im Auto sitze, aber ich höre, wie sie flüstern.
    »Ist das Liam? Der ist ja ein Hübscher, nicht wahr?«
    »Sarah, er ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten. Ehrlich – ihr könntet Bruder und Schwester sein.«
    »Er scheint nicht besonders glücklich, dich zu sehen, Petey.«
    Ich lehne die Stirn gegen die Armatur, weil ich plötzlich völlig erschöpft bin. Als ich mich umdrehe, sehe ich im Garten nebenan ein Mädchen. Es ist nicht sehr groß, hat langes, dunkles Haar, trägt eine altmodische Künstlerbrille und beobachtet mich. Das Mädchen geht mit seinem Vater in ihr Mobilheim, als wollten sie das Spektakel, das wir veranstalten, nicht stören. Der Mann hat die Hand auf die Schulter des Mädchens gelegt, und als er ihr etwas zuflüstert, lachen beide mit genau demselben Gesichtsausdruck. Ich beiße mir heftig auf die Lippe, die zu bluten anfängt. Daher fasse ich mir an den Mund und starre auf das rote Blut an meinem Finger. Mom merkt es gar nicht; sie ist zu sehr damit beschäftigt, sich lachend mit Tante Pete zu unterhalten.
    »Steig aus und sag Hallo«, ruft sie in scharfem, aber humorvollem Ton, sodass jeder glauben kann, wir hätten im Voraus als Gag geplant, dass ich im Auto sitzen bleibe.
    Ich steige aus, und einen Moment zögert Mom, als würde sie spüren, wie sehr ich mich irgendwo anders hinwünsche. Doch dann geht sie in die Vollen.
    »Liam«, sagt sie, »das sind die Jungs.«
    Die Jungs? Sie wirken nicht sonderlich beeindruckend.
    Einer von ihnen – der mir als Eddie vorgestellt wird – trägt ein hübsches Hemd. Nur ist es leider rosa. Solange man kein maskuliner Typ ist, kann man kein Rosa tragen und sollte es auch gar nicht erst versuchen. Eddie ist kein maskuliner Typ. Im Gegenteil:Er ist wohl der femininste
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