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Voll daneben

Voll daneben

Titel: Voll daneben
Autoren: K. L. Going
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Moderator.
    Dad greift nach meiner Hand und drückt sie fest.
    »Es stimmt, dass ich nicht so viel Zeit mit Liam verbringen kann, wie ich es gerne würde«, sagt er. »Ein internationales Finanzunternehmen zu leiten   – das übrigens gleichzeitig eine der führenden wohltätigen Organisationen des Landes ist   –, bedeutet eine Menge harter Arbeit, aber Liam und ich unternehmen trotzdem vieles, das uns beiden Spaß macht. Wir gehen gerne schwimmen und spielen Ball, so oft wir können.«
    D as stimmt nicht. Ich starre Dad an und wundere mich, warum er in einer landesweiten Fernsehsendung Märchen erzählt. Warum sagt er, wir würden zusammen Ball spielen, wenn das glatt gelogen ist?
    »Und selbst wenn Liam meine naturgegebene Begabung für Mathematik nicht geerbt hat«, fährt Dad fort, »so ist er doch sehr ... äh ... sehr ...«
    Dad kommt ins Stottern. Ich habe ihn schon in Hunderten von Interviews gesehen, und er hat noch kein einziges Mal gestottert. Es ist, als hätte er den Faden verloren, und das Schweigen zieht sich ewig hin.
    Dann räuspert er sich.
    »Liam ist sehr beliebt«, sagt er schließlich. »Er ist Everybody’s Darling. Seine Mutter und ich sagen immer: ›Warte nur, bis er in die Highschool kommt. Dann wird er uns glatt überholen!‹«
    Wenn man Dad nicht kennt, könnte man denken, dass er gerade etwas Nettes gesagt hat. Aber wenn man ihn kennt, dann erkennt man den Ton wieder, den er nur bei Leuten anwendet, die er für wertlos hält. Seine Worte hallen in meinen Ohren. »Everybody’s Darling«.
    Mein Lächeln erstarrt. Ich sehe zur Tür des Fernsehstudios, obwohl ich weiß, dass ich das nicht tun soll, aber der Moderator wendet sich mir zu ... schon wieder. Seine Augen glitzern.
    »Glaubst du, eher wie dein Vater oder wie deine Mutter zu werden, wenn du groß bist?«, fragt er mich.
    Ich sehe Mom an. Sie sitzt mit ihren langen Beinen, dem blonden Haar und den blauen Augen aufrecht auf ihrem Hocker. Dann schaue ich Dad an; er hat dunkle Haare, ist kompakt und nicht besonders groß. Sein markantes Gesicht hat keine Ähnlichkeit mit meinen Gesichtszügen. Auch wenn man mir von Geburt an täglich sagt, dass ich meiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten bin, ist es p lötzlich wie eine ganz neue Erkenntnis: Ich sehe meiner Mutter ähnlich   – und nur meiner Mutter.
    Ich denke an mein Zeugnis und an die Mathefrage. Mein Herz fängt an zu klopfen. Irgendwas steckt hinter dieser Frage, und es erstaunt mich, dass mir jetzt klar wird, was dahintersteckt. Es ist, als hätte man mir einen Dechiffrierschlüssel für die Welt der Erwachsenen gegeben, und als hätte ich erst in den letzten paar Minuten herausgefunden, wie man ihn benutzt.
    Ich beiße mir auf die Unterlippe und balle meine (neun Jahre alten) Hände zu Fäusten.
    »Wie mein Dad«, sage ich trotzig. »Weil er, auch wenn ich nicht aussehe wie er und nicht so schlau bin wie er, immer noch mein Vater ist.«
    Für einen kurzen Augenblick schwillt die Brust meines Vaters an. Sein harter Blick wird weich. Aber noch bevor ich mich in diesem besonderen Moment sonnen kann, tappe ich ins Fettnäpfchen. Und es ist nicht bloß ein gewöhnliches Fettnäpfchen. Es ist die Mutter aller Fettnäpfchen.
    »Das weiß ich daher«, erzähle ich dem Moderator der landesweiten Fernsehsendung, »weil sie den Vatertest und das ganze Zeug gemacht haben. Ich hab gehört, wie Mom es meiner Oma erzählt hat. Sie hat gesagt, wenn wir den Vatertest nicht gemacht hätten, dann hätte sie es nie geglaubt.«

2
    »Liam, du bist echt ein Versager. Hast du wirklich geglaubt, beliebt zu sein reicht aus, um im Leben durchzukommen?«
    Betrunken und halbnackt liege ich auf Dads Schreibtisch. Das Einzige, was ich anhabe, sind meine verkrumpelten Boxershorts und eine Socke, während ein heulendes Mädchen, das mich eh nicht wirklich gemocht hat, ihre Hose und ihr Oberteil aufklaubt.
    »Bitte rufen Sie nicht meine Eltern an«, fleht Delia. »Ich kann alles erklären, Mr Geller. Ich tu alles – aber bitte rufen Sie bloß nicht meine Eltern an!«
    Ich frage mich, ob das Betteln bei ihr funktioniert. Mir hat es noch nie was gebracht. Ich mache die Augen zu und lasse mich von den Wellen der Übelkeit überrollen. Mittlerweile hat Delia ihr Top zugeknöpft und kniet sich hin, um den Stapel Papier, den wir umgeworfen haben, wieder ordentlich zusammenzulegen. Sie legt die Blätter auf den Schreibtisch, aber als ich erfolglos versuche, mich aufzurichten, stoße ich den Stapel aus
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