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Voll daneben

Voll daneben

Titel: Voll daneben
Autoren: K. L. Going
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verschwimmen, aber Dad ist doch nicht betrunken – ich bin doch derjenige, der betrunken ist –, also muss es mein eigenes Hirn sein, in dem alles verschwimmt. Krank ... du ... krank ... mich krank ... Was hat er gesagt? Tatsache ist, ich fühle mich irgendwie krank. Ziemlich krank sogar.
    »Ich will dich in meinem Haus nicht mehr sehen.«
    »Mr Geller!«, ruft Delia erschrocken, doch Dad sieht sie genauso an, wie er Mom immer ansieht. Er kneift die Augen so eng zusammen, dass sie zurückweicht.
    In diesem Moment tut Delia mir leid. Mir tut leid, dass ich sie in diese Sache reingezogen habe, und mir tut auch leid, dass sie Dads Geschrei mitanhören muss. Wieder versuche ich mich aufzurichten, und ich glaube, diesmal wird mir endlich das Richtige einfallen. Das, was ich sagen muss, damit Dad alles wieder zurücknimmt, denn das kann er doch nicht wirklich ernst meinen, oder? Also hole ich tief Luft und bemühe mich, meine Augen dazu zu bringen, sich auf ihn zu konzentrieren.
    »Kann ich bitte eine Sekunde Zeit haben, um mich zu entschuldigen ...«
    Doch leider dreht sich in dem Moment, in dem ich mich aufsetze, wieder alles vor meinen Augen.
    Die ganze Welt stellt sich auf den Kopf, und mein Sichtfenster wird immer enger, bis es nur noch ein winziger Fleck ist. Dann wird mir schwarz vor Augen.

3
    ICH BIN FÜNF JAHRE ALT und spiele nach einer von Moms Modeschauen auf dem Laufsteg in Paris. Es ist schon spät. Sehr spät. Überall liegen Kleider herum, und unterschiedlich auffällige Leute stehen herum und unterhalten sich. Es riecht nach Rauch und Parfüm, und die laute Musik klingt mir noch in den Ohren.
    Seit Stunden beachtet mich niemand, aber das ist okay, denn ich bin damit beschäftigt, die Models nachzuahmen. Ich habe noch die Show vor Augen, die ich mir vorhin hinter einem Vorhang versteckt ansehen durfte, während eine Frau immer wieder »Pssst« geflüstert hat, als wüsste ich nicht genau, dass ich bei einer Modenschau still sein muss. Aber jetzt muss ich nicht mehr still sein, und so stapfe ich ganz laut mit extralangen Schritten über den Laufsteg, so wie Mom es immer tut. Ich ziehe meine Schultern nach hinten und recke das Kinn. Ich sauge sogar die Wangen ein.
    Dann werden mehrere Umstehende auf mich aufmerksam, und ich fange die Worte auf, die ich verstehe   – englische oder französische Worte.
    »Ach, seht ihn euch an!«
    »Du liebe Güte, Sarah, er ist umwerfend. Er ist dir wie aus dem Gesicht geschnitten.«
    »Hach, er ist zum Knuddeln süß!«
    Die Leute lachen, und eine Gruppe Models wirft mir von unten Küsse zu. Mom beobachtet mich von ihrem Stuhl aus. Ihre Augen sind h alb geschlossen und verträumt, aber sie lächelt. Sie sieht unglaublich glücklich aus, vielleicht sogar stolz, und dabei habe ich doch gar nichts Besonderes getan. Also peppe ich die Sache noch ein bisschen auf, aber so wie ein Fünfjähriger es tut. Ich renne so schnell ich kann den Laufsteg hinunter, sicher, dass ich von der Bühne direkt in ihre Arme springe und sie mich auffangen wird   – nur läuft es leider nicht so, wie ich dachte. Mom sieht bloß zu, während ich krachend in einem Haufen Stühle lande.
    Als ich die Augen wieder aufschlage, beugt sich Mom über mich und starrt auf das verkrumpelte Stück Elend, das ihr Sohn ist. Ich liege immer noch auf Dads Schreibtisch, und mein ganzer Körper schmerzt. Die Sonne scheint durch das Fenster des Arbeitszimmers, und ich muss blinzeln. Mein Gesicht glüht und mir ist schlecht. Ganz vorsichtig richte ich mich auf und lasse mich langsam von der Tischplatte herunter in Dads Schreibtischstuhl gleiten. Durch die Bewegung fängt mein Kopf an zu dröhnen.
    Mom reicht mir einen Kaffeebecher. Dann setzt sie sich in den Sessel vor Dads Erkerfenster. Für einen Moment kehrt Stille ein, und ich wünschte, es könnte für immer so bleiben, aber ich weiß, das ist unmöglich.
    »Ach, Liam«, flüstert Mom schließlich. »Warum machst du bloß solche Sachen? Warum musst du deinen Vater so aufregen? Wolltest du ihn dazu bringen, dich rauszuwerfen? Ist es das?«
    Es klingt, als würde Mom mich angreifen, aber das tut sie nicht. Sie will es nur verstehen.
    »Nein«, sage ich. »Ich wollte ihn nicht ...« Die Worte kleben wie Watte an meinem Gaumen fest. Bevor Mom es ausgesprochen hat, hatte ich immer noch gehofft, der Rausschmiss sei nur Teil meiner grauenhaft vernebelten Trunkenheit. »Hat er es sich denn noch nicht anders überlegt?«
    Mom sieht mich traurig an, ohne zu
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