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Voll daneben

Voll daneben

Titel: Voll daneben
Autoren: K. L. Going
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Mann?«
    Ich zucke mit den Schultern und schaue auf meine Füße.
    »Nina meint doch nur, dass eine Mutter für ihren Jungen zu Hause und ihm ein Vorbild sein sollte, Sarah   – statt in der Welt g eschichte rumzugondeln. Glaub mir, wir sind absolut davon überzeugt, dass du jetzt, wo du wieder in einer stabilen Umgebung bist, eine bessere Mutter sein wirst.«
    Das ist Gramps Vorstellung von einem Kompliment. Mom erstarrt.
    »Ich wusste gar nicht, dass meine Fähigkeiten als Mutter in Frage gestellt wurden.«
    Gram und Gramps tauschen Blicke aus.
    »Nun ja, ganz offensichtlich kann Allan nicht alles allein machen«, sagt Gram dann. »Jungen brauchen viel Aufmerksamkeit, und bald wird er sich für Sport und Mädchen interessieren, und ihr müsst euch mit dem College befassen ...«
    »Oder mit der Army ...«, fügt Gramps hinzu und nickt mir bedeutungsvoll zu.
    »Wäre ich nicht zu Hause geblieben und hätte mich um Allan gekümmert, als er in Liams Alter war, dann könnten wir sicher nicht seine neue Position als Vorstandsvorsitzender feiern.«
    »Ach, wirklich?«, fragt Mom unschuldig. »Und was ist mit Peter?«
    Wie auf ein Zeichen klopft es einen Augenblick später an der Tür. Mom lächelt Gram und Gramps zu und sagt: »Lasst mich das machen«, und als sie die Tür öffnet, tritt ein Mann in einem hautengen roten Kleid ein. Ich starre ihn ungläubig an, nicht etwa seiner Kleidung wegen   – bei Modenschauen habe ich Männer schon in allen möglichen verrückten Aufmachungen gesehen. Nein, ich starre ihn an, weil ich ihn im ersten Moment nicht wiedererkenne. Dann wird mir klar, dass der Mann im Kleid Onkel Pete ist. Er trägt ein bodenlanges Abendkleid, Highheels und eine schwarze Perücke.
    »Hallo, meine Liieben«, haucht er, während er zur Tür hereinkommt.
    Ich klatsche in die Hände und rufe: »Tante Pete ist da!«
    Sobald ich das ausgesprochen habe, bricht Gram in Tränen aus, und Mom versucht noch nicht einmal, ihr breites Grinsen zu ver b ergen. Dann kommt Dad von draußen rein. Es ist, als würden alle Geräusche aus dem Zimmer gesogen, um gleich darauf lauter als zuvor zurückzuströmen.
    »Verlass sofort mein Haus! Wenn du denkst, du könntest dich so vor meinem Sohn aufführen ...«, poltert Dad.
    »Sarah, hast du ihn etwa eingeladen?«, jammert Gram.
    »... eine Schande«, sagt Gramps. »Einen Sohn wie dich wollte ich nie.«
    Die Stimmen der Erwachsenen klingen so unbarmherzig, dass ich stumm mit offenem Mund dasitze. Die Gesichter meines Vaters und meines Großvaters laufen knallrot an, während sie herumschreien, doch Tante Pete lächelt. Und zum ersten Mal, seit die Party begonnen hat, lächelt auch meine Mutter.
    Tante Pete merkt, dass ich die anderen beobachte, und zwinkert mir zu.
    »Wir sehen uns nachher«, sagt er, als mein Vater und Großvater ihn zusammen nach draußen begleiten.
    Seitdem habe ich ihn nie wiedergesehen.
    Tante Pete.
    Ich starre auf die Telefonnummer, die meine Mutter in ihrer schnörkeligen Handschrift aufgeschrieben hat, und atme schneller.
    Das darf doch nicht wahr sein.
    Mir ist, als würde man mir die Kehle zuschnüren, und ich ermahne mich, cool zu bleiben. Mit meinem Transvestitenonkel in einer Wohnwagensiedlung zu leben ist immer noch hundert Mal besser, als mit meinem Militärgroßvater und der strengsten Großmutter der Welt in Nevada zu leben.
    Oder etwa nicht?
    Woher zum Teufel soll ich das wissen? Der einzige Grund, weshalb ich überhaupt weiß, wo Tante Pete wohnt, ist, dass Dad immer sagt: »Du willst doch nicht wie mein gestörter Bruder enden, der in einer heruntergekommenen Wohnwagensiedlung in der Pampa lebt.«
    Ich trommle mit den Fingern auf Dads Schreibtisch und versuche, mir noch andere Erinnerungen an Pete als die von Moms Abschiedsfeier ins Gedächtnis zu rufen. Aber mir fällt nichts ein. Hat er uns jemals in Paris besucht?
    Auf keinen Fall werde ich bei jemandem leben, an den ich mich noch nicht einmal erinnern kann.
    Ich stehe auf und gehe über den Flur in mein Zimmer. Dann ziehe ich mir etwas über und gehe trotz Moms Warnung hinunter in die Küche, um Dad zu suchen, denn es muss sich um ein riesiges Missverständnis handeln. Er hat die Schwere meines Fehltritts missverstanden, und ich habe missverstanden, wie sauer er ist.
    Oder so ähnlich.
    Als ich ihn finde, arbeitet er wie wild an den Unterlagen, die er vom Boden seines Arbeitszimmers aufgesammelt hat – ein schlechtes Zeichen. Dass Dad an einem Sonntagmorgen arbeitet, ist normal, aber
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