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Kalter Weihrauch - Roman

Kalter Weihrauch - Roman

Titel: Kalter Weihrauch - Roman
Autoren: Gmeiner-Verlag
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I
    Der Schnee fiel, wie vom Fremdenverkehrsverein bestellt. Glitzernd weiße Flocken rieselten vom Himmel auf den Weihnachtsmarkt, senkten sich auf die Dächer der hölzernen Buden und auf die gestrickten Mützen der Besucher. Kinder streckten ihre kleinen rosa Zungenspitzen hervor, um sie zu erhaschen und ihr Schmelzen zu fühlen. Die Welt lag da wie von Puderzucker bestäubt.
    Krinzinger stand auf dem Kirchenplatz, gleich vor der Krippe mit den geschnitzten Hirtenfiguren direkt unter dem sanft glimmenden Stern von Bethlehem, der zum Glück noch mit altmodischen Glühbirnen zum Leuchten gebracht wurde und nicht mit diesen kalt gleißenden Ökoscheinwerfern, die die EU vorschrieb. Mitten im Geschehen stand er, auch wenn das sonst keiner merkte, und hatte alles im Griff. Sogar die gefühlten 10.000 Touristen, die an diesem ersten Adventwochenende über den Ort hereinbrachen, jeden Kitsch mit spitzen Entzückensschreien bedachten und erstaunlicherweise auch kauften (die zuckergussverzierten Lebkuchenengel der Loibnerin zum Beispiel, die so hart waren, dass jedes Jahr mehrere Zahnkronen darin abbrachen), um sich sodann den dampfenden Punschständen zuzuwenden. ›Feurige Liebe‹ war in diesem Jahr der Renner, ein ebenfalls von der geschäftstüchtigen Loibner Hanni ersonnenes Gebräu aus viel Wasser, wenig Amaretto und ordentlich Schnaps, das vor dem Servieren mit einem Streichholz in Brand gesetzt wurde, sodass bläuliche Flämmchen in den Henkelbechern züngelten. Was wiederum Jauchzen und Kreischen hervorrief. Vor allem die Damen waren schon in bester Stimmung.
    Krinzinger zog den Inhalt seiner Nase hoch. Zum Glück war seine Frau nicht in der Nähe, sondern machte sich gerade am Stand mit den gestrickten Socken wichtig. Die hasste dieses Geräusch nämlich abgrundtief und bedachte ihn dann immer mit einem bösen Blick. Er beschloss, eine weitere Runde zu drehen. Zwar war er heute Abend nicht im Dienst, ausnahmsweise, aber ein Inspektor und Amtsorgan war eben immer auf der Hut, sozusagen. Einer wie er, Bezirksinspektor Krinzinger, hatte niemals wirklich frei. Ein Ort war ihm anvertraut mit all seinen Bewohnern und mit seinen Gästen, die aus der ganzen Welt kamen, um sich von der Schönheit der Landschaft und der Musik Mozarts betören zu lassen. Plötzlich fühlte Krinzinger eine Regung aufsteigen, die sich wie Wohlbehagen, ja beinahe wie Stolz anfühlte. Oder war es doch nur der Kaiserschmarrn vom Mittagessen, der so wohlig seinen Bauch füllte? Nix da, das war schon Stolz. Stolz war er auf seine Heimatgemeinde und auf sich selber. Und auf alle rundherum, von denen ein paar gewiss nicht zu seinen Freunden gehörten. Aber vor ein paar Jahren hatten sie sich zusammengehockt, endlich einmal waren alle an einem Tisch gesessen und hatten auf das ständige Hickhack, auf den Neid und auf die ewige Konkurrenz untereinander – welcher war der schönste Ort am See, welcher war am berühmtesten -, vergessen, alle rauften sie sich um den Mozart, dabei hatte der nie auch nur einen Fuß ins Salzkammergut gesetzt. Als ob das von Bedeutung gewesen wäre! Manche Touristen, und gar nicht so wenige, hielten den Wolfgang Amadeus sowieso bloß für den Erfinder der Nougatmarzipankugel. Jedenfalls, sie hatten sich also zusammengehockt, die Herren Bürgermeister und die Herren Manager von den Fremdenverkehrsbüros, die von den Trachtenvereinen und von den Musikkapellen, die Wirte und die Hotelbesitzer. Na ja, ein paar Weiberleut waren auch dabei gewesen, die mussten ja schließlich die Arbeit machen. Die Köpfe hatten geraucht, und die Schnapserln waren gekippt worden, ein paar Mal hätte es beinahe eine Rauferei gegeben. Und dann hatten sie den Weihnachtsmarkt erfunden, jawohl! Das hatte zunächst nach keiner weltbewegenden Idee ausgeschaut, Weihnachtsmärkte gab es ja mittlerweile wie Rosinen im Schmarrn, jedes Kuhdorf stellte ein paar Standeln auf und verkaufte Honig, Kerzen und die windschiefen Strohsterne der Volksschulkinder. Aber plötzlich waren alle Gemeinden rund um den See wie elektrisiert gewesen, als ob sie aus dem Winterschlaf erwacht wären, der sie alljährlich im Spätherbst erfasste. Denn das konnten sich die in der Stadt ja gar nicht vorstellen, wie das war am Land, wenn der Winter von November bis April über den Häusern und den Berggipfeln lag wie eine dunkle feuchte Tuchent. Nur Kälte und Dunkelheit rundum. Einmal war er, Krinzinger, zwei Wochen lang durch den Ort gestapft auf seiner täglichen Runde, mit
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