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Voellig durchgeknallt

Voellig durchgeknallt

Titel: Voellig durchgeknallt
Autoren: Ally Kennen
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voran, bis wir vor Selbys Grab stehen.
    »Da.« Lexi macht den Reißverschluss von meinem Rucksack auf und reicht mir eine kleine rote Gärtnerschaufel.
    Sie stellt den Blumentopf vor den Grabstein und tritt ein Stück zurück. Erst scharre ich mit der Schaufel nur zaghaft im Kies, aber nachdem ich mich noch mal vergewissert habe, dass mich sonst keiner beobachtet, stemme ich einen großen Batzen Erde und Steinchen aus dem Grab meines Bruders.
    »Lass dir Zeit«, sagt Lexi. »Keiner hetzt dich.«
    Als ich ein ordentliches Loch gegraben habe, hocke ich mich hin und betrachte es.
    |347| »Ist das tief genug?«
    »Mach’s noch tiefer«, sagt Lexi. »Sonst gehen vielleicht Hunde dran.«
    Also schaufle ich noch mehr weiche Erde raus und werfe sie neben dem Loch auf einen Haufen. Irgendwann findet Lexi, dass es jetzt gut ist, und ich krame mein Mäppchen aus dem Rucksack. Ich mache es auf und hole einen dicken Wattebausch raus.
    »Zeig mal«, sagt Lexi.
    Ich zögere. Ich will nicht, dass sie sich ekelt. Aber sie streckt die Hand aus, darum wickle ich die Watte auf und lasse meinen abgehackten Finger in ihre Handfläche kullern.
    »Na lecker!«, sagt sie. Das reicht. Ich nehme den Finger wieder an mich und lege ihn in das Loch. Lexi gibt mir die Gänseblümchen, ich hole sie aus dem Topf und stecke den Wurzelballen in die Erde. Dann drücke ich die Erde ringsum fest, wie ich es bei Michael gesehen habe, als er in seinem Schrebergarten Kohl gepflanzt hat.
    »Cool«, sagt Lexi.
    Mir gefällt das. Ein kleiner Teil von mir liegt hier bei meinem Bruder und verwest wie er. Irgendwie korrekt. Wir bleiben noch eine Ewigkeit sitzen und schauen die Blume an und ich überlege, ob man am Grab seines Bruders wohl mit seiner Freundin knutschen darf. Ich denke mal, Selby würde es nicht stören. Ich hätte jedenfalls nichts dagegen, wenn ich an seiner Stelle wäre. Apropos Brüder   …
    »Wie geht’s Devil?«, frage ich. »Ist er wieder okay?«
    »Er wohnt immer noch bei Mum. Aber der Reiz des |348| Neuen vergeht bestimmt bald. Sie hat nicht so viel Ausdauer wie Dad, mit ihm fertig zu werden.«
    »Heißt das, er kommt bald wieder?«
    Lexi nickt. »Na klar.«
    Ich drücke ihre Hand und sie drückt meine. Dann streicht sie mit den Fingern drüber. Sie kommt an meinen Stummel und streichelt ihn auch. Erst ist es mir unangenehm. Ich hab mir immer Mühe gegeben, den Stumpf zu verstecken. Außerdem ist er grade mal so verheilt. Aber nach einer Weile merke ich, dass es mir gefällt. Sehr sogar. Hoffentlich kreuzt ihr Bruder nicht grade jetzt auf.
    Dann küsst sie mich und ich denke nicht mehr an Devil.
     
    Mein erster Tag an der Fachschule. Ich soll Lexi um halb neun abholen, dann können wir denselben Bus nehmen. Bei ihr hat das letzte Schuljahr begonnen und ich fange mit der Ausbildung zum Reiseverkehrskaufmann an. Ich bin von Kopf bis Fuß neu eingekleidet, sogar die Boxershorts sind neu. Ich habe ein supercooles T-Shirt und eine geile neue Hose an. Meine Turnschuhe sind nagelneu. Oma hat mir 120   Pfund zugesteckt und ich habe alles ausgegeben. Dafür sehe ich auch klasse aus.
    Ich bin zu aufgeregt zum Frühstücken. Ich sage Oma und Mum Tschüss und will grade zur Tür raus, da sehe ich auf dem Fußabtreter die Post liegen. Oben auf dem Stapel liegt eine Postkarte mit einer zottigen Kuh drauf. Ich drehe sie um und lese:
     
    |349|
Hallo, ihr drei!
    Die Shrimps sind alle. Ich komme heim. Oma soll bloß nichts Besonderes kochen.
    Stephen
     
    Endlich.
    Eben will ich Oma zurufen:
Guck mal, wer uns geschrieben hat
, da fällt mein Blick auf den Brief unter der Karte, einen kleinen braunen Umschlag mit einer wohlbekannten Handschrift drauf. Ich drehe mich um, ob Oma zuschaut, aber sie wurstelt noch in der Küche rum. Ich gehe nach draußen, mache die Haustür hinter mir zu und setze mich auf die Vortreppe.
    Meine Hände zittern, als ich den Umschlag aufreiße.
     
    Gefängnis Dartmoor
    Princetown
    Lieber Chas!
    Du hast bestimmt gedacht, Du hörst nie mehr von mir. Ich darf Dir aber mitteilen, dass es mich immer noch gibt, obwohl ich momentan unter Bedingungen inhaftiert bin, auf die ein Todeszelleninsasse nicht unbedingt neidisch wäre.
    Es würde Dir nichts schaden, Dir einmal klarzumachen, dass du Glücklicher frei herumlaufen und frische Luft atmen darfst. Raff Dich auf und komm ins Gericht, wenn mein Fall verhandelt wird. Am 6.   November ist es so weit. Circa 16   Uhr. Hier in England ist Exeter der
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Schauplatz, wo sich mein
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