Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Virus (German Edition)

Virus (German Edition)

Titel: Virus (German Edition)
Autoren: Kristian Isringhaus
Vom Netzwerk:
Professors gewesen sein dürfte.
    Doch Meng Hongs Motive spielten
in diesem Moment keine Rolle. Die einmalige Chance, die Weltöffentlichkeit auf
eine ernstzunehmende Bedrohung aufmerksam zu machen, durfte nicht ungenutzt
bleiben. Nein, bei diesem Vortrag durfte wirklich nichts schief gehen.
    Der Weg vom Hotel bis zum
Kongresszentrum war nicht weit. Trotzdem verdammte Debbie nach wenigen
Schritten ihre Entscheidung, kein Taxi genommen zu haben. Sie mochte das deutsche
Wetter nicht, speziell an der Küste. Während ihrer fünf Studienjahre in Köln
hatte sie Land und Leute lieben gelernt – aber nie das Wetter. Gewiss waren die
Winter in Minnesota zu kalt und die Sommer zu heiß, aber wenigstens hatte man
rund ums Jahr Sonnenschein. Sie wusste, dass das nicht ganz stimmte, aber im
Vergleich mit Deutschland kam es einem so vor. Besonders an diesem verregneten Nachmittag.
    Dieser fünfminütige Fußmarsch
würde sie noch mindestens fünfzehn weitere Minuten vor einem Spiegel kosten,
bevor sie vor Menschen treten konnte. Ihr nackenlanges blondes Haar war zu kurz
für einen Pferdeschwanz. Das würde sie nach diesem Sturm noch bändigen müssen.
Sie war nicht eitel, sich aber durchaus der Tatsache bewusst, dass sie mit
ihrer schlanken, sportlichen Figur und ihrem gewinnenden Lächeln Blicke auf
sich zog. Und wer wollte da schon aussehen wie nach einem fünfminütigen
Spaziergang an der Ostsee?
    Die ‚Seemöwe’, das Hotel, in dem
die Wissenschaftler, die Journalisten und die übrigen less important persons untergebracht waren, war ein etwas bodenständigerer Ableger des luxuriösen
‚Seeadlers’, in dem die Regierungschefs, ihre engsten Berater, die
Sicherheitsleute und die übrigen very important persons residierten.
    Der gesamte Komplex war erst vor
wenigen Jahren direkt an der Ostseeküste entstanden. Man hatte sich für eine
moderne Architektur mit viel Glas entschieden. Dieser Vorschlag eines Berliner
Architekten hatte sich gegen die zunächst favorisierten Einreichungen anderer
Büros im Landhaus- oder Kolonialstil durchgesetzt, weil er weniger prätentiös
war, sich selbst nicht so wichtig nahm und somit die wunderschöne
Dünenlandschaft der Ostseeküste nicht in den Hintergrund drängte. Ganz im
Gegenteil reflektierte das viele Glas die Ostsee, den Himmel und die Dünen
sogar noch.
    Neben den beiden Hotels umfasste
die Anlage einen 18-Loch Golfplatz, der sich im Stil britischer Links
Courses in die Dünen schmiegte, und genau zwischen den beiden Hotels lag. Als
Debbie den Platz passierte, dachte sie kurz an die Golfspieler, die hier
regelmäßig mit dem Ostseewetter zu kämpfen hatten, und sie empfand eine kurze
grimmige Schadenfreude.
    Zudem gehörte das Kongresszentrum
zu dem riesigen Komplex. Hier würden während des Gipfels die wissenschaftlichen
Vorträge stattfinden. Natürlich grenzte es direkt an den Luxustempel an. Die
Mächtigen dieser Welt würden sich nicht durch Wind und Regen kämpfen müssen. Debbie
hätte ein Taxi nehmen sollen.
    „Shit!” sagte sie laut, als der
Sturm einen weiteren Versuch, ihren Regenschirm zu öffnen, vereitelte. In dem
Moment klingelte ihr Handy. Das Display zeigte Meng Hongs Namen. Wütend rammte
sie den Regenschirm in einen Mülleimer und nahm ab.
    „Professor. What do
you want?”
    „Debbie. Where you? Hurry.”
    Es klang mehr wie ‚Hully’ ,
denn noch immer hatte Meng Hong große Probleme, ein ‚r’ auszusprechen. Debbie
hatte nie verstehen können, wie ein Mann von Meng Hongs Intellekt, der seit
dreißig Jahren internationale Kongresse besuchte und inzwischen auch seit drei
Jahren in den USA lebte, noch immer so schlecht Englisch sprechen konnte.
    „Listen” , sagte sie genervt. „Ich
komme, sobald der scheiß Sturm mich durchlässt. Ich bin da, wenn ich da bin.”
    „Beeile. Ich Frage mit Vortrag.”
    „Ich fliege.” Sie gab sich keine
Mühe, den aufsteigenden Sarkasmus in ihrem Tonfall zu unterdrücken. Sie wusste,
dass der Professor ihre direkte, offene Art nicht immer schätzte, aber es war
ihr egal.
    Was sie viel mehr störte, war
dieses Wetter. Ein ungutes Gefühl beschlich sie. Das Dunkelgrau des Himmels,
der peitschende Regen und das Tosen der im Sturm wütenden Brandung schienen
nichts Gutes zu verheißen.

2.
    Scheiß Wetter , dachte Passe Hausmann.
Es konnte beim besten Willen nicht zur Besserung seiner Laune beitragen. Er
hatte sich die ganze Geschichte anders vorgestellt.
    Das hier war Kindergeburtstag,
Grillen mit Freunden. Er hatte die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher