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Virus (German Edition)

Virus (German Edition)

Titel: Virus (German Edition)
Autoren: Kristian Isringhaus
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zugleich erstarrten Gesichter seiner Zuhörer. Etwas
lief hier schief. Gewaltig schief – dies sollte sein großer Auftritt sein.
    Und er wurde es. Urplötzlich
schoss ein gigantischer Blitz aus der Metallkugel über seinem Kopf auf ihn
nieder. 500.000 Volt strömten durch seinen Körper in den Boden. Tu Meng Hong
war tot, bevor der Blitz vorbei war.
    –––––
    Die durchschnittliche
Reaktionszeit eines Menschen liegt bei etwa sieben zehntel Sekunden. Drei
zehntel Sekunden nachdem der Blitz begonnen hatte, setzte Andreas Hanke mit
einem gewaltigen Sprung über zwei Stuhlreihen hinweg, stieß dabei Menschen,
zwischen denen er hindurch sprang, unsanft zur Seite, riss die Kanzlerin zu
Boden und warf sich schützend auf sie. Halb sah, halb spürte er, wie neben ihm
die anderen Regierungschefs von ihren Personenschützern auf gleiche Weise von
dem Blitz abgeschirmt wurden. Dann wanderte sein Blick zur Bühne. Was er sah,
ließ ihn zum ersten Mal in seinem Berufsleben für wenige Augenblicke seine
Aufgabe vergessen.
    –––––
    Debbie merkte, wie ihre Knie
nachgaben. Etwas Schrecklicheres hatte sie noch nie gesehen. Sie hatte sich nie
Gedanken darüber gemacht, wie lange ein Blitz dauern konnte. Normalerweise sah
man Blitze nur aus weiter Ferne und normalerweise sah man niemanden, der von
dem Blitz getroffen wurde. Dieser Blitz schien eine Ewigkeit zu dauern.
    Er hielt den leblosen, in
entsetzlichen Spasmen zuckenden Körper des Professors in seinem Bann gefangen.
Sein teurer Maßanzug hatte sofort Feuer gefangen, unkontrollierte Nervenimpulse
ließen sämtliche Muskeln seines Körpers wieder und wieder kontrahieren, sein
Gesicht war zu einer widerlichen Fratze verzogen, seine heraustretenden Augen
sendeten schon jetzt kein Leben mehr aus, und eine Nebelwolke schlagartig aus
seinem Körper verdampfender Flüssigkeit stieg von ihm empor.
    Doch all das war nicht einmal das
Schlimmste an diesem Bild.
    Mit dem ersten Auftreffen des
Blitzes hatte sich eine Art Feuerspur entzündet und sich schnell und geradlinig
zur rückwärtigen Wand durchgefressen. Die Wand brannte nun, allerdings nicht
überall. Es wirkte fast wie ein Bild. Eine Schrift. Ganz eindeutig. Auf der
Wand hinter dem Professor stand in flammenden Lettern der Schriftzug ‚A87’.
    Debbie konnte die Schrift lesen,
aber keinen klaren Gedanken dazu fassen. Zu schrecklich war das gesamte
Szenario. Im Vordergrund der immer noch vom Blitz gefangene, entsetzlich
zuckende und brennende Professor, im Hintergrund die flammende Schrift und dazu
über allem dieser schreckliche Ton, der angesichts des Bilds, das er untermalte,
jegliche Schönheit verloren hatte.
    Dann hörte der Blitz ebenso
plötzlich auf, wie er begonnen hatte, und mit ihm auch der Ton. Es hatte kaum drei
Sekunden gedauert, doch Debbie war es vorgekommen wie eine Ewigkeit. Mit einem
dumpfen Geräusch schlug der qualmende, brennende und bis zur Unkenntlichkeit verkohlte
Leichnam des Professors auf den Bühnenboden auf. Hinter ihm brannte nun die
gesamte Wand, und distinguierte Zeichen waren nicht mehr zu erkennen. Doch das
bemerkte Debbie in diesem Moment nicht mehr.
    Wie lange dauert ein
Blitz? war ihr letzter Gedanke, bevor ihr schwarz vor Augen wurde und sie in sich
zusammen sank.
    –––––
    Andreas Hanke verlor keine Sekunde.
In dem Moment, als der Blitz vorüber war, riss er die Kanzlerin unsanft hoch
und schob sie eilenden Schritts zum ausschließlich für die Regierungschefs
vorgesehenen Fluchtweg rechts von der Bühne. Sie würde von seinem Griff
vielleicht ein paar blaue Flecken am Oberarm als Erinnerung behalten, doch das
störte ihn nicht. Bereits nach wenigen Schritten waren sie umringt von vier
weiteren Personenschützern des BKA. 28 Sekunden, nachdem der Blitz aufgehört hatte,
saß die Kanzlerin in ihrer gepanzerten Mercedes-Benz Limousine in der
Tiefgarage und verließ den Ort des Geschehens.
    –––––
    Jo Somniak war kein gefühlloser
Mensch. Das Schicksal des Professors ließ ihn nicht unberührt. Aber in diesem
Moment hatte er wichtigere Gedanken. Er hatte im richtigen Moment auf den
Auslöser gedrückt. Er hatte ein unglaubliches Foto geschossen. Die
Zufriedenheit hierüber überwog im Moment über das Mitgefühl mit dem Professor.
    Dieses Foto war der Grundstein zu
seinem Moment des Ruhms. Er entnahm seiner Kamera die Speicherkarte, steckte
sie in einen kleinen, extra dafür eingerichteten Schlitz in seiner Schuhsohle,
und legte eine neue Karte in die Kamera
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