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Vierbeinige Freunde

Vierbeinige Freunde

Titel: Vierbeinige Freunde
Autoren: Wera Tschaplina
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hinein. Der erschrockene Luchs drückte sich in eine Ecke und knurrte. Kinuli beachtete ihn gar nicht bei ihrer Bemühung, in die Kiste zu kommen. Der Luchs prustete, fauchte, knurrte – Kinuli klomm ruhig weiter. Da sprang der bis zur Verzweiflung getriebene Luchs mit vor Entsetzen weit aufgerissenen, runden Augen den Löwen an und schlug ihm die Krallen seiner vier Pfoten und seine Zähne in die Schnauze. Ich hatte noch nie solch rasende Wut gesehen. Der Luchs riß, kratzte und biß wie eine Wildkatze – und Kinuli?
    Sie wehrte sich nicht einmal! Aufheulend fegte sie aus dem Zimmer und jagte, ohne sich auch nur umzusehen, den Korridor entlang. In der Küche erst kam sie zu sich. Dort lief sie aus einer Ecke in die andere, schlug mit dem Schwanz und miaute ganz verstört. Der kleine Luchs aber hatte sich wieder in seine Kiste verkrochen und saß da, als wäre nichts gewesen.
    Am Abend brachte man uns einen Käfig, und wir setzten den Luchs hinein. Die neue Behausung gefiel Tasko gar nicht. In der Kiste konnte er sich vor jedermann in einem dunklen Winkel verkriechen, hier saß er wie auf einem Präsentierteller. Tasko schlug die Zähne in das Drahtgeflecht und versuchte es zu zerreißen, um zu entkommen. Die ganze Nacht über schrie er laut und schrill. Morgens klagten alle Mieter über Kopfschmerzen, fragten, was ich mir denn da für ein Tier zugelegt hätte, und verlangten, daß ihre Nachtruhe nicht gestört würde.
    In der folgenden Nacht schrie Tasko noch lauter. Bis auf die Straße war er zu hören. Um das Schreien zu dämpfen, deckte ich den Teppich über den Käfig, dann noch meine Decke, die Matratze und die Kopfkissen, mit einem Wort: mein ganzes Bett. Und trotz allem bekam ich morgens wieder mein Teil ab. Jetzt quartierte ich den Luchs aus, hinaus auf den Balkon. Dort war es ruhiger, selten kam jemand hinaus. Doch nun hatte Tasko Angst, fuhr bei jedem Geräusch zusammen und suchte sich zu verstecken. Wenn man den Käfig reinigen wollte, fiel er die Hände an, kratzte und biß.
    Was tat ich nicht alles, um den Wildling zu zähmen! Ich widmete ihm all meine Freizeit, fütterte ihn mit der Hand und stellte, wenn ich fortging, das Radio an, um Tasko an Geräusche zu gewöhnen, die ihm noch nicht vertraut waren.
    Allmählich wurde er weniger schreckhaft, fiel die Hand, die man ihm hinstreckte, nicht an, ja, duldete sogar, daß man ihn berührte.
    In Freiheit
    Wir beschlossen, Tasko in Freiheit zu setzen. Wie würde das ausgehen? Wer konnte wissen, was der drei Monate alte Wildling aus dem Zoo hier in einer Wohnung anstellen würde? Würde er herauskommen, sich verkriechen oder, einen Ausweg suchend, durchs Zimmer jagen? Wir waren sehr aufgeregt. Mir zitterten ordentlich die Hände, als ich den Käfig öffnete.
    Die Tür steht offen, Schura und ich sind beiseite getreten und warten. Tasko rührt sich nicht, nur der Blick ist schärfer geworden, und irgendwie drückt sich in dem ganzen Körper eine Bereitschaft aus. Dann streckt er sich, steht auf und geht schleichenden Schrittes zum Türchen. Lange konnte Tasko sich nicht entschließen, die Schwelle zu überschreiten, streckte bald die eine Pfote aus, dann die andere, lauschte und hielt Umschau. Auf den Beobachter wirkte es beinahe komisch. Hinausspringen und entwischen, das wäre doch das Gegebene! Tasko aber zögerte noch immer. Ich wollte ihn schon hinausbefördern, da machte er plötzlich den ersten Schritt. Auftreten und zurückfahren war eins, man hätte annehmen können, sein weiches Pfötchen hätte nicht den weichen Teppich, sondern die heiße Herdplatte berührt. Alles war hier so neu und furchterregend für ihn. Vorsichtig machte er einige Schritte auf dem Teppich und blieb wieder stehen. Vor ihm dehnte sich das Parkett, glänzend, glatt und unbekannt. Mehrere Male betrat es Tasko und fuhr jedesmal wieder zurück. Er war ungeheuer vorsichtig, dieser kleine Luchs. Man konnte denken, er befände sich nicht hier im Zimmer, sondern im dunklen Urwald, rings von Gefahren umlauert.
    Es dauerte lange, bis Tasko sich zurechtfand, doch die Freiheit tat das Ihrige, und bald war er nicht mehr wiederzuerkennen.
    Wo kletterte er nicht überall herum! Es schien, als gäbe es für ihn kein unerreichbares Fleckchen. Er sprang auf den Schränken umher, kletterte zu den Bildern hinauf und brachte es einmal fertig, durch die Luftklappe unseres Fensters hinaus auf den Sims des Nachbarfensters zu gelangen. Mit einem Wort, er benahm sich, als lebe er nicht in einem
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