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Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
Autoren: Johannes Clair
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begann es tatsächlich zu regnen. So als ob der Himmel unseren Sieg bekräftigen und die Veränderung mit einläuten wollte, öffnete er seine Schleusen. Wir genossen die Erfrischung von oben, stellten uns mitten hinein und jauchzten vor Vergnügen.
    Als wir uns für den Abmarsch aufstellten, band ich eine große schwarz-rot-goldene Fahne um meinen Rucksack, die ich vor Beginn der Operation Halmazag in ein kleines Fach gesteckt hatte. Muli meinte, ich solle nach ganz hinten gehen, weil Mü das bestimmt nicht gerne sähe. Mir war das egal. Sollte er doch reden. Dahinter steckte sicher kein rein patriotischer Gedanke. Ich konnte es mir später nur mit dem unglaublichen Hochgefühl erklären, das uns wie ein Rausch erfasst hatte. Ich war stolz und wollte allen zeigen, wo wir herkamen. Aber weil die Stellung des Golf Zugs am weitesten im Süden lag und mein Trupp mit Muli als Letzter marschieren sollte, war ich der Letzte an der Operation beteiligte deutsche Soldat, der das Dorf verließ. Und die schwarz-rot-goldene Fahne das Letzte, was man von uns sehen konnte.
    Als wir die kleine Schonung verließen, passierte etwas Unglaubliches. Nachdem wir monatelang durch leer wirkende Dörfer marschiert waren, auf dem Land kaum eine Frau zu Gesicht bekommen und die Eltern ihre Kinder stets in die Häuser geschoben hatten, standen die zurückgekehrten Einwohner von Quatliam jetzt an der Straße, in den Eingängen und Höfen. Männer, Frauen und Kinder winkten uns zu, lachten und reichten uns Brot. Niemals wieder habe ich eine schönere Geste erlebt. Diese bitterarmen Menschen, die in der Vergangenheit so viel erduldet hatten, zeigten uns ihre Dankbarkeit mit voller, aufrichtiger Begeisterung. So viele lachende Kinder, so viele glückliche Menschen.
    Noch niemals zuvor hatte ich solche Klarheit wie in diesem Augenblick gespürt. Die ganzen Fragen, die Unsicherheit, die Zweifel der vergangenen Zeit wurden von einer Woge des Lachens fortgespült.
    Noch während des Abmarschs dachte ich über meine Situation nach. Wir waren dort, um zu kämpfen. Wir wurden gedrillt, auf Menschen zu schießen. So wurde es uns gesagt, und genau so ist es gekommen. Wird sich wirklich etwas verändert haben, wenn ich dieses Dorf jetzt verließ? Hatte sich meine Wahrnehmung und damit meine Sichtweise gewandelt? Was werde ich sagen, wenn ich wieder zu Hause bin? Werde ich erzählen können, was uns widerfahren ist, nachdem das oft so schwierig war? Wird es überhaupt jemanden geben, der bereit ist zuzuhören? Viele meiner Freunde sagten schon vor dem Einsatz, dass sie nicht verstanden, warum ich das tat. Und wenn mich jemand fragen würde, ob es all das wert war, all das Leid und die Mühe, den Schweiß und die Angst, ohne zu wissen, ob sich wirklich etwas in diesem Land verändern würde? Dann würde ich vielleicht immer noch nicht wissen, was ich ehrlich antworten soll.
    Natürlich habe ich einen Eid geleistet. Aber ich habe es vor allem für den Kameraden neben mir getan. Und weil ich der Meinung war, dass es in diesem Land Menschen gibt, die Unterstützung verdienen. Ich tat es, damit die Menschen in Quatliam zum ersten Mal seit Jahren wieder friedlich schlafen gehen konnten.
    Vielleicht erscheint es manchen falsch, was wir hier taten oder aus welchen Gründen. Vielleicht mussten wir uns selbst und anderen etwas beweisen. Vielleicht konnten wir manchmal nur reagieren. Vielleicht kämpften wir einfach nur gegen das Leid an, mit dem wir täglich konfrontiert wurden. Und vielleicht gelang uns das nicht immer. Weil Krieg immer von wenigen beschlossen, aber auf den Schultern vieler ausgetragen wird.
    Aber das einzig Wichtige für mich ist, dass ich eine Entscheidung traf und bereit war, bis zum Ende dazu zu stehen. Das begleitet mich.
    Und wenn ich dieses Dorf jetzt verlasse, wird vermutlich alles wieder wie vorher sein. Und trotzdem wird sich alles verändert haben. Aber es sind diese vier Tage im November, die den Unterschied bedeuten.

EPILOG
    Mit unerträglicher Hitze, wirbelnden Sandstürmen und großen Entbehrungen hatte unser Einsatz begonnen. Umgeben von dieser fremdartig grausamen, aber doch faszinierenden Kultur wurden wir von Sprengstoffanschlägen und zahlreichen schweren Gefechten geprägt. Die Angst, die ich während des nächtlichen Hinterhalts in der Killbox erstmals spürte und die in den vier Tagen im November während der Operation Halmazag ihren intensiven Höhepunkt erreichte, blieb in den folgenden Monaten mein Begleiter.
    Dennoch
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