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Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
Autoren: Johannes Clair
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wieder los.
    Erst viel später erfuhren wir, dass Freddys Schützenpanzer von Süden und Osten her gleichzeitig mit Panzerabwehrraketen beschossen worden war und er sich mit der Bordkanone und einem kleinen Maschinengewehr zu beiden Seiten verteidigte, während er versuchte, dem feindlichen Feuer auszuweichen. Es war so knapp geworden, dass der Chef sich schon sicher war, den Schützenpanzer mit der gesamten Besatzung verloren zu haben. Unser Schutzengel war haarscharf der Vernichtung entgangen.
    Um ihn zu entlasten, schossen wir auf eines der Gebäude im Süden, von wo immer wieder Mündungsfeuer aufblitzte. Nach mehreren Gewehrgranaten und ein paar Salven mit dem Maschinengewehr brannte es. Aber auch wir wurden beschossen. Die Feinde versuchten es wieder mit allen Mitteln. Der Funk vermittelte kein gutes Bild.
    Das Polizeihauptquartier wird auch angegriffen!, rief Muli erschreckt.
    Die Aufständischen hatten offenbar eine große Offensive gestartet, um eine Entscheidung herbeizuführen. Während starkes Gewehrfeuer aus Richtung des Foxtrott und Hotel Zuges erklang, ging der Kampf bei uns unvermindert weiter.
    Es war wie ein Befreiungsschlag, als ein Kampfjet im Tiefflug über das Dorf raste, um den Gegner einzuschüchtern. Beim zweiten Anflug warf er seine todbringende Ladung ab. Es waren wieder die Belgier gewesen, die den Abwurf angefordert hatten. Muli verlangte für unseren Bereich über Funk Artilleriefeuer. Als die Haubitze ihre gewaltigen Granaten zu uns schickte, hoffte ich, dass es wieder möglichst viele von denen erwischte. So wie gestern in dem Graben.
    Die erste Granate heulte heran. Sie flog zu weit und traf ein Feld, das hinter dem Graben mit der Baumreihe lag und in Flammen aufging. Als die zweite Granate heranraste, explodierte sie mit lautem Knall. Als wir die Köpfe wieder hoben, konnten wir keinen Aufschlag erkennen. Wo war der Treffer gelandet? Eine Rauchsäule über dem Dorf im Süden bestätigte, dass der zweite Schuss nun zu kurz gewesen war. Und die Häuser der geflohenen Einwohner getroffen hatte.
    Als der Gefechtslärm endlich leiser wurde und ich mich wieder aus meinem tiefen Loch traute, brauchte mein Herzschlag diesmal eine ganze Weile, um sich wieder zu beruhigen.
    Der Nachmittag verlief wesentlich ruhiger. Aber immer wieder wurde irgendwo geschossen. Als wir gegen Abend müde und abgekämpft unser Essen aßen, begutachteten wir unsere Waffen. Munition war genug da, seit wir aus den Fahrzeugen Nachschub geholt hatten und auch vom Rest der Kompanie versorgt worden waren. Aber die Gewehre waren in keinem guten Zustand. Mein Gewehr hatte schon ein paar Mal Störungen gehabt, und auch Hardys Waffe war vorhin ausgefallen. Muli hatte Probleme mit dem Verschluss und nur noch Simbo und Mica hatten bei sich nichts festgestellt. Langsam ging die Operation hier an unsere Substanz. Mental und was die Ausrüstung betraf. Wann würde das hier endlich ein Ende haben?
    Während der Nachtwache saß ich wieder mit Muli dick angezogen auf dem Wall. Das Feld gegenüber brannte immer noch und erhellte die Dunkelheit.
    Findest du es sinnlos, was wir hier machen?, fragte ich ihn.
    Er schaute verdutzt und überlegte einen Moment lang.
    Weißt du, fing er an und kratzte sich am Kopf, ich will als Soldat ernst genommen werden. Er machte eine Pause.
    Es bringt doch nichts, wenn wir zu Hause schief angeschaut werden, weil wir in diesen Einsatz gehen. Wie sollen wir stolz auf unsere Arbeit sein, wenn unser eigenes Land nicht weiß, wie es mit uns umgehen soll? Weißt du, erklärte er, ich sitze hier in Afghanistan, weil ich etwas tue, an das ich glaube. Es ist doch scheißegal, ob das hier richtig oder falsch ist, weil das sowieso niemand sagen kann. Vielleicht wurde dieser Krieg aus den falschen Gründen begonnen. Aber inzwischen haben wir die Chance, hier ernsthaft etwas zu verändern. Das zählt, und nicht etwas, was vor zehn Jahren mal schiefgegangen ist. Ich bringe mich mit vollem Einsatz und mit meinem Leben dafür ein, weil ich davon überzeugt bin.
    Und kannst dabei draufgehen, ergänzte ich.
    Und kann dabei draufgehen, wiederholte er mit Nachdruck. Aber weißt du, fast alle Menschen sterben einsam, hustend und keuchend und unter Schmerzen. Florians Tod kam schnell. Er war umgeben von Freunden. Und dabei tat er etwas, von dem er überzeugt war. Das finde ich sehr tröstlich.
    Und dann fügte Muli fast beiläufig hinzu: Ich wünsche mir auch ein schnelles Sterben …
    Als ich später allein in meinem
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