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Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
Autoren: Johannes Clair
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meines Körpers gerade noch von der Wallkrone verdeckt wird. Nur der obere Teil meines Rückens, meine Schultern, mein rechter Arm und natürlich mein Kopf sind von der anderen Seite aus zu sehen. Aber auch das ist eigentlich zu viel.
    Vor zwei Tagen, als es am schlimmsten war, haben wir abends angefangen, den Wall mit Gräsern und Gestrüpp zu bedecken, damit wir uns dahinter verbergen können. Nur wenige Lücken haben wir gelassen, um die Sicht nicht zu behindern, wenn man hinter dem Wall liegt und die Umgebung beobachten will. Wir haben Tarnfächer angefertigt, Geflechte aus Ästen und Gräsern, um uns dahinter zu verbergen. Außerdem haben wir tiefe Löcher in die Rückseite des Walls gegraben. Löcher, in denen man bequem stehen kann, um den Rücken zu entlasten. Es ist nicht gut, die ganze Zeit auf dem Bauch zu liegen. In die Löcher kann ich mich hineinkauern und ein wenig geborgen fühlen. Nicht sicher, aber geborgen. Geborgener, als ich mich auf oder hinter dem Wall fühle. Jetzt kauere ich in keinem der Löcher. Ich liege nicht hinter dem Wall. Ich liege oben auf ihm.
    Die Sonne heizt meinen Rücken auf. Der Schweiß fängt an, von meinem Rücken und meinem Gesicht zu laufen. Er läuft mir von der Nase und tropft in den Staub. Die Tropfen werden im Dreck zu einer kleinen Kugel, die grau schimmernd auf dem Boden liegt. Als ich mir heute Morgen etwas Wasser über den Kopf laufen ließ, verwandelte es sich sofort in eine dunkle Brühe, die mir an den Schläfen herunterrann. Ich hoffe nur, dass ich keine ungebetenen Gäste habe, denn meine dunkelblonden Haare sind inzwischen so lang, dass man Mühe hätte, sie zu finden. Mein Bart ist deutlich länger, als ich ihn normalerweise trage, und fängt ab und zu schon an zu jucken. Vor allem am Kinn ist es manchmal schlimm.
    Wie meine Füße aussehen, habe ich mir das letzte Mal gestern Morgen angesehen. Zwei unförmige weiße Klumpen, voller roter Stellen an und zwischen den Zehen und der Ferse. Der Inhalt kleiner Blasen, die aufgegangen sind, wurde von meinen Socken aufgesaugt. Gestern habe ich beschlossen, die Socken, die am schlimmsten stinken, zu vergraben. Die Übrigen versuche ich zu trocknen, so gut es geht. Meine Stiefel trage ich nun seit über vier Tagen fast ohne Unterbrechung. Aber sie scheinen durchzuhalten. Nur sind sie so staubig, dass ich bei jeder Bewegung eine kleine Wolke verursache. Meine Kleidung ist voll Lehm und Dreck, übersät mit Löchern und kleinen Rissen. Mein Shirt habe ich schon das zweite Mal angezogen, zuletzt vorgestern, es war heute Morgen als Einziges noch einigermaßen trocken. Es hat überall braune Flecken und fühlt sich an wie ein Putzlappen, in den ich meinen Körper gewickelt habe. Ich muss furchtbar stinken.
    Dazu der schwere Helm, der jede Kopfbewegung mühsam werden lässt, aber nötig ist, um mich zu schützen. Und die Weste. Mit Kevlarplatten und Splitterschutzeinlagen. Sie wiegt über zehn Kilogramm und lässt jede Bewegung roboterartig und unbeholfen wirken. Die Hitze darunter staut sich und tritt bei jeder Bewegung wie eine kleine, warme Wolke zutage, die mir von unten ins Gesicht bläst.
    Muli kam vor einer Stunde zu mir und sagte, dass ich bald herunter müsse. Ich wüsste, warum. Natürlich wusste ich, dass sie in den letzten vier Tagen fast jedes Mal um dieselbe Zeit gekommen waren. Dass wir anfingen, Wetten darauf abzuschließen, wann es wieder losgehen würde. Dass wir mit diesen Wetten fast immer richtig lagen, der eine mehr, der andere weniger. Dass ihr Kommen bedeuten könnte, dass es wieder verdammt knapp werden wird. Wie so oft in den letzten Tagen.
    Aber noch habe ich ein paar Minuten. Die will ich mir selbst geben. Und sie denen nehmen, die uns in den letzten Tagen so viel genommen haben. Ich will zeigen, dass wir uns nicht abschrecken lassen. Ein Zeichen. Für die anderen. Für mich.
    Vorsichtig schaue ich auf die Uhr. Ich darf meinen Kopf nicht zu stark bewegen. Denn dann könnte ich auf dem Wall entdeckt werden. Behutsam ziehe ich meinen linken Arm in Richtung Gesicht. Wo der Handschuh endet, der meine Hand schützt, beginnt ein brauner Streifen aus Sand. Das Glas meiner Uhr ist zerkratzt, eine Schicht aus Staub und Schmutz bedeckt sie. Ich betrachte die Ziffern kurz im Augenwinkel. Das genügt, um zu erkennen, dass es gleich so weit sein müsste. Sofort blicke ich wieder nach vorne. Die Zeit läuft.
    In der ersten Stunde war Hardy noch bei mir. Er lag auch auf dem Wall, aber schräg hinter mir, so
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