Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)

Titel: Vier Tage im November: Mein Kampfeinsatz in Afghanistan (German Edition)
Autoren: Johannes Clair
Vom Netzwerk:
große Ungewissheit über uns schwebte, als ob wir in einem Auto bei dichtestem Nebel ohne jede Sicht mit Tempo 150 über die Landstraße rasen würden.
    Zwar hatte der neue Oberbefehlshaber der internationalen Truppen in Afghanistan, der amerikanische General McChrystal, der das Kommando 2009 übernommen hatte, einen Strategiewechsel angekündigt. Es sollte jetzt verstärkt darum gehen, die Herzen der Bevölkerung zu gewinnen. Mehr Soldaten als sonst sollten nach großen Operationen gegen die Aufständischen in die Dörfer gehen und dort auch für längere Zeit bleiben. Viele kleine Außenposten sollten geschaffen und gehalten werden, um eine Präsenz in der Fläche zu zeigen. Dies sollte den Menschen das Gefühl geben, dass wir den Gegner nicht nur schlagen, sondern auch dauerhaft für Sicherheit im Land sorgen konnten. Zwar hatten die beteiligten Politiker der Londoner Afghanistan-Konferenz im Januar 2010 die Einsatzziele neu definiert. Nach einer Aufstockung der Truppenstärke sollte der Abzug schrittweise erfolgen. Die Sicherheit sollte in die Hände der Afghanen selbst gelegt werden. Aber wir einfachen Soldaten konnten uns darunter kaum etwas vorstellen. Präsenz in der Fläche zeigen? Viele kleine Außenposten errichten und halten? Wir fragten uns, wie zum Teufel wir es schaffen sollten, die genannten Pläne umzusetzen.
    Einzig unser Kompaniechef bewahrte nach außen hin die Ruhe und sagte, er werde alles in seiner Macht Stehende tun, um uns gut zu führen und alle heil nach Hause zu bringen. Er ging sogar so weit, uns das mit Humor zu vermitteln, als er einige Zeit vor unserem Abflug bei einem Kompanieantreten sagte, seine Frau habe die Karten gelegt und hätte gesehen, dass alle seine Männer am Leben bleiben würden. Solche mit einem Augenzwinkern vermittelte Information gab uns wieder die Ruhe, die wir dringend brauchten.
    Die schreckliche Nachricht kam dann auch vollkommen überraschend. Niemand war darauf gefasst oder vorbereitet. Niemand hätte mit Derartigem so wenige Wochen vor unserer Abreise gerechnet. Es war ein Feiertag. Der Karfreitag 2010. Drei Kameraden aus unserer Kaserne waren im Kampf gefallen, eine große Zahl weiterer war schwer verletzt worden. In dem kleinen Dorf Isa Khel in einem Distrikt nahe Kundus war passiert, was wie ein Damoklesschwert über uns allen schwebte. Und die Kameraden kamen aus dem Zug, dessen Aufgaben wir, genau mein Zug, im Einsatz übernehmen sollten, dem Golf Zug.
    An diesem Tag begriffen wir, dass das, was auf uns zukam, uns alles abfordern würde. An diesem Tag wurde uns allen klar, dass es nun ernst wurde. Es war, als ob ein Schalter in mir, in uns allen umsprang. Von diesem Tage an gingen wir noch ernsthafter, noch verbissener in die restliche Zeit der Ausbildung. Für die letzten eineinhalb Monate.
    Bald darauf fand im Nachbarort unserer Kaserne die Trauerfeier statt. Wir alle standen an der Straße Spalier, um unseren Kameraden die letzte Ehre zu erweisen. Die Bundeskanzlerin und der Verteidigungsminister waren gekommen, es gab ein unglaubliches Medienecho um uns herum. Jeden schien es zu berühren, jeder schien dabei zu sein. Nach der Trauerfeier wurde einiges anders. Wir waren in Gedanken dort, bei den Kameraden. Es entstand ein wirkliches Kollektivbewusstsein, das uns half, unsere Gefühle zu kanalisieren. Und was wir fühlten, war Wut. Ohne wirklich greifen zu können, gegen wen sich unsere Wut genau richtete, wollten wir alle dorthin. Wir wollten endlich aufbrechen, um denen in den Arsch zu treten.

KUNDUS
    Wie einen grellen Blitz, der kurz in mein Auge stach, nahm ich den ersten Sonnenstrahl wahr. Die alte Transall rollte noch, als sich langsam die Heckluke öffnete. Die Scharniere ächzten. Während sich die Öffnung schwerfällig erweiterte, fiel das Licht stoßweise in den Innenraum. Eine Wolke aus aufgewirbeltem Staub drang herein und segelte langsam durch die Bahnen aus Licht, die den Laderaum immer mehr ausfüllten.
    Wir saßen in dem engen Flugzeug dicht gedrängt und umgeben von Taschen und Ausrüstung auf den Sitzbänken aus Segeltuch. Ich konnte durch eines der kleinen runden Fenster den Rotor sehen, der sich wie ein Kreisel drehte. Das tiefe Brummen der Motoren ließ die betagte Maschine vibrieren. Die alten Schutzwesten, die man uns für den Fall gegeben hatte, dass das Flugzeug beschossen wurde, ließen uns in der stickigen Luft noch mehr schwitzen. Der bittere Geruch von Männerschweiß mischte sich mit dem von Öl, Kerosin und altem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher