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Viele Mütter heißen Anita

Viele Mütter heißen Anita

Titel: Viele Mütter heißen Anita
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Das Volk ist auf meiner Seite. Er blickte hinüber zu den Geschworenen, die würdevoll an dem langen Tisch saßen und sich ärgerten, nicht mitklatschen zu dürfen.
    Als sich der Lärm etwas legte, beugte sich Campo vor.
    »Professor Dalias, ich ermahne Sie zur Ordnung! Ich dulde keine Reden … ich will klare und nüchterne Antworten! Unsere spanischen Gesetze sind anders als die französischen.«
    »Dann wäre es besser, nach Frankreich zu gehen!« rief Dalias außer sich.
    »Bitte, setzen Sie sich!« rief Campo erregt. Und Dalias ging zurück zur Zeugenbank und setzte sich, gefolgt von der Kamera der Wochenschau.
    Der Prozeß um Prof. Moratalla dauerte fünf Stunden.
    Fünf Stunden wurde darum gerungen, aus Moratalla einen Mörder zu machen. Man holte die Experten herein … ihre Aussagen waren fast unverständlich vor Fachausdrücken und chirurgischen Auslegungen. Man führte die Röntgenbilder vor … warf sie mit einem Projektor an eine weiße Leinwand, die man hinter dem Richtertisch an die Wand spannte, und Moratalla erklärte die Krankheit Juans und die Operation in allen Einzelheiten. Dr. Tolax sagte aus … er schilderte die Operation und die menschlich ergreifende Vorgeschichte, das nächtelange Ringen Moratallas, ob er diesen Eingriff wagen sollte, und das Flehen Anitas, dem er dann nachgab. Dr. Albanez wurde verhört, die Schwestern, auch Ricardo Granja erzählte seine Geschichte, und Concha stand klein und schüchtern vor den Scheinwerfern und sprach von ihrer Liebe zu Juan und dem Kind, das sie unter dem Herzen trug.
    Es war totenstill im Saal, als Dr. Osura auftrat.
    Dr. Osura nickte Moratalla zu, und dann sprach auch er … er erzählte, daß Anita die Wassersucht hatte, er blickte zurück in all die Jahre, in denen er die Torricos kannte, erzählte von ihrem Leben in den Bergen der Santa Madrona und der Not, aus der strahlend ein Stern emporschoß, ein Genie, wie es Spanien nie wieder seit dreihundert Jahren besaß … Juan Torrico, der Bauernjunge, der Bildwerke schuf wie Michelangelo und Praxiteles! Er erzählte von dem Opfer der Mutter, und er weinte dabei, der kleine, alte Landarzt, der nie einen Schritt in die große Welt gewagt hatte und nun der Mittelpunkt eines einmaligen Prozesses wurde.
    »Ich habe geschrien, als Anita starb«, sagte er leise. »Ich habe sie lieb gewonnen wie meine alte Mutter, obwohl ich nur sechs Jahre jünger bin als sie. Ich habe zu Moratalla geschrien: Sie sind ein Mörder … Ich muß ihn um Verzeihung bitten … Heute weiß ich, daß es für Anita kein schöneres Ende gab als ihrem Sohn Juan, ihrem lieben, kleinen Juanito, zum zweitenmal das Leben zu geben.«
    Schluchzend ging er zur Zeugenbank und setzte sich, den Kopf tief gesenkt. Campo biß sich auf die Lippen, er fühlte in sich eine fremde Rührung aufquellen … er sah hinüber zu den Zuhörern und sah sie weinen. Da erfaßte ihn ein Entsetzen, daß er hier saß und richten sollte, wo das Herz längst gesprochen hatte, und er rief die Zeugen auf und wünschte sich nur eins, daß sie alle, alle für Moratalla sprachen.
    Fredo Campillo trat ein. Er schilderte die Höhle in den Bergen am Rebollero, die Arbeiten Juans, die große Hoffnung, die dieser Junge für Spanien bildete, und es kam Ramirez Tortosa und der Conte de la Riogordo, es kamen Frau Sabinar, deren tränenerstickte Stimme man kaum verstehen konnte, und die kecke, hübsche Jacquina, die sich schämte und dann schluchzend neben Frau Sabinar saß, die von ihr abrückte – es kamen der Professor aus Toledo und sein Oberarzt, und sie erklärten Moratalla für den größten Chirurgen, den Spanien habe.
    Es war, als säßen im Saal keine dreihundert Menschen, als Juan eintrat, gestützt auf seinen Bruder Pedro. Er war blaß, schmal, aufgeregt … ein Mensch, der aus den Händen des Todes glitt. Man setzte ihn in die Mitte des Saales, und die Augen der Menschen um ihn herum sah er nicht, sondern nur die Roben der Richter und das Gesicht Moratallas, das hinter einer hölzernen Barriere zu ihm hinübersah.
    Mutter, dachte er. Warum müssen alle Leute hören, was Mutter für mich getan hat! Was geht es die anderen an? Müssen sie wissen, wie sehr ich sie geliebt habe, müssen sie alles mitanhören, was sie gar nicht so tief berührt wie mich?
    Er sah Campo an, und seine Augen waren traurig, als er sprach.
    »Ich will nichts sagen. Ich bin so traurig. Aber dem Herrn Professor dürfen Sie nichts tun … er hat mich gerettet. Und es war der Wunsch meiner Mutter
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