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Richard Dübell

Richard Dübell

Titel: Richard Dübell
Autoren: Allerheiligen
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Donnerstagnacht
    18 . Juli
1 .
    Kommissar Robert Kalp von der Münchner Kripo hörte den Schuss zweimal – einmal gedämpft aus dem Haus, von dem er keine hundert Meter entfernt hinter einem Streifenwagen kauerte, und einmal aus dem Handy, mit dem der Leiter des Einsatzkommandos mit dem Geiselnehmer in Verbindung stand. Dem Schuss war keine Warnung vorausgegangen. Das Telefon hatte geklingelt, der SEK -Beamte hatte den grünen Knopf gedrückt, sie alle hatten über Lautsprecher die Stimme gehört, die gebettelt hatte: »Nein, bitte nicht!«, und die so schrill vor Panik gewesen war, dass man nicht unterscheiden konnte, ob sie männlich oder weiblich war … Dann der Knall des Schusses – und danach Stille.
    Kalp hatte so wie jeder der Zuhörer mit angehaltenem Atem gewartet, dass man das Flehen wieder hören würde, dass alles nur ein Bluff des Geiselnehmers gewesen war. Aber das Einzige, was nach langen, langen Sekunden gekommen war, war der elektronische Ton, der anzeigte, dass der Gesprächspartner die Verbindung beendet hatte. Das Flehen und der doppelte Knall des Schusses schienen in der Abendluft nachzuhallen. Robert wollte den Kopf heben und stellte fest, dass er dem SEK -Mann nicht in die Augen sehen konnte.
    Sie kauerten immer noch so nebeneinander, der SEK -Beamte mit seinem schwarzen Einsatzanzug und Robert in seinen zivilen Klamotten, als Harald Sander eintraf.
    »Wie ist die Lage?«, fragte er.
    Kriminaloberrat Harald Sander war seit einem halben Jahr Roberts Vorgesetzter. Sie hatten getan, was man als Polizist tut, um sich als Kollegen näherzukommen. Sie hatten ihre Fitness miteinander gemessen, hatten an der Torwand, am Basketballkorb und am Kickerkasten konkurriert, waren auf die Schießbahn gegangen, hatten sich total betrunken und waren einmal zusammen mit ihren Freundinnen abends essen gegangen. Unter den Mitarbeitern des Sondereinsatzteams, dessen Leiter Harald war, galten sie als dicke Kumpel. Hätte man Robert jedoch gefragt, was für ein Mensch sein Teamleiter sei, hätte er keine Antwort gefunden. Er war Polizist genug, um zu erkennen, dass Harald ihm und der Welt eine Fassade zeigte; er war aber nicht Psychologe genug, um mit Sicherheit sagen zu können, ob hinter der Fassade irgendetwas steckte und, wenn ja, was.
    Robert schielte auf das Handy in der Faust des SEK -Beamten, dann sagte er kaum hörbar und konnte es plötzlich selbst nicht glauben: »Wir haben eine Geisel verloren, Chef.«
    »Den Juwelier, seine Frau oder die Tochter?«
    »Wir wissen es nicht, Chef.«
    Harald Sander musterte das in grelles Scheinwerferlicht gehüllte Haus. Die Zufahrt war mit hellem Stein gepflastert, das Dach eine kühn geschwungene Kurve, die Garage und Wohngebäude miteinander verband, die Haustür allein so teuer wie Roberts ganze Zweizimmerwohnung, und drum herum ein sommergrüner Rasen, aus dem hohe alte Auwaldbäume ragten wie in einem Park. Es war ein Haus, das man sich leisten konnte, wenn man kein Polizeibeamter war. Es war ein Haus, in das der Tod eingezogen war, weil sie, die Polizeibeamten, einen Fehler gemacht hatten. Der Widerschein des Blaulichts flackerte über seine Wände.
    »Wer hat Mist gebaut?«, fragte Harald.
    »Es war die falsche Wagenfarbe«, sagte der SEK -Beamte dumpf. »Nur die um eine Nuance falsche Wagenfarbe.«
    Harald bückte sich und nahm ihm das Handy ab, bevor der Beamte es in seiner Hand zerquetschen konnte. »Fangt mal von vorn an«, sagte er.
    »Das Schwein hat einen Fluchtwagen verlangt«, sagte Robert. »Eine Corvette C 6 . Das ist so eine amerikanische Nuttentreiberkutsche …«
    »Ich kenne das Fahrzeug«, sagte Harald.
    »In Le-Mans-Blau«, sagte der SEK -Beamte unvermittelt. »Keine andere Farbe, sonst würde er eine der Geiseln töten. Haben Sie eine Ahnung, wie schwer es ist, hier in München so eine Kiste aufzutreiben? In Grünwald stehen ein paar davon rum, aber auf den meisten klebt der Kuckuck, oder der Tank ist leer, weil die Besitzer kein Geld fürs Benzin haben. Oder sie rücken den Wagen nicht raus, nicht mal, wenn man mit einem Beschlagnahmebefehl ankommt.«
    »Er spielt auf Zeit«, sagte Harald. »Und?«
    »Kurz bevor Sie angekommen sind, haben wir ihm endlich eine Karre hingestellt.« Der Beamte wies auf die geduckte Silhouette eines Sportwagens, der keine fünfzig Schritte entfernt so vor dem Anwesen geparkt war, dass man sofort einsteigen und losfahren konnte. »Er beobachtet uns wahrscheinlich mit einem Fernglas, und über das Handy des
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