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Verwesung

Verwesung

Titel: Verwesung
Autoren: Simon Beckett
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stoppelige Gras in der Senke, in der die Beamten der Spurensicherung den Hügel aufgruben, zu dem uns Sophie vor Jahren geführt hatte. Naysmith und Lucas standen neben mir und beobachteten schweigend, wie erneut der tote Dachs freigelegt wurde. Durch den Torf konserviert, war das Tier kaum verwester als beim letzten Mal. Doch je weiter der Hügel abgetragen wurde,desto besser konnte man sehen, dass der Kadaver platt gedrückt und zerquetscht war und die gesplitterten Enden der gebrochenen Knochen aus dem mit Torf verfilzten Pelz ragten.
    «Was glauben Sie, woher Connors den Dachs hatte?», fragte Naysmith, als die Kriminaltechniker ihn vorsichtig aus dem Loch hoben.
    «Er lag überfahren an der Straße», sagte ich. «Fall wild .»
    Diesen Begriff aus der Jägersprache hatte Wainwright benutzt, als ich ihn besucht hatte, doch ich hatte das als wirres Geschwätz abgetan. Die Entdeckung des Dachses hatte uns damals sowohl eine Erklärung für die Reaktion des Leichenspürhundes als auch für die aufgewühlte Erde geboten. Der Kadaver hatte uns davon abgehalten, tiefer zu graben.
    Es schien eine Sackgasse zu sein, und niemand hatte sich die Frage gestellt, weshalb ein Tier, das eine trockene, sandige Umgebung bevorzugt, seinen Bau in einem wassergetränkten Boden angelegt haben sollte. Monks gescheiterte Flucht hatte uns abgelenkt, doch wir hatten weitere Hinweise übersehen. Auch in Tina Williams’ seichtem Grab waren Tierknochen gefunden worden, und allein die Übereinstimmung hätte mich aufmerksam machen müssen. Ebenso der Geruch der Verwesung, der zwar schwach war, aber doch wesentlich stärker, als er unter Torf hätte sein dürfen. Der deutlichste Hinweis war jedoch der Knochen, den Wainwright freigelegt hatte. Er wies einen Splitterbruch auf, der typisch ist für einen Sturz oder auch den Zusammenprall mit einem Auto. Ein Tier, das in seinem Bau gestorben war, hätte nicht solche Verletzungen gehabt.
    Wer weiß, wann Wainwright das klargeworden war. Möglicherweisehatte er es bereits seit Jahren gewusst und lieber geschwiegen, um seinen Ruf zu schützen. Andererseits leben Demenzpatienten häufig eher in der Vergangenheit. Vielleicht war das Wissen nur durch eine zufällige Fehlzündung des erkrankten Gehirns ans Tageslicht gekommen.
    Aber ich hätte es erkennen müssen. Und in gewisser Weise hatte ich das auch. Schon damals, als die Suche ihren gewalttätigen Ausgang erreichte, hatte ich das Gefühl gehabt, etwas zu übersehen. Doch ich war ihm nicht gefolgt. Selbstsicher und von meinen Fähigkeiten überzeugt, hatte ich nicht in Erwägung gezogen, meine Erkenntnisse noch einmal zu überdenken. Ich hatte nur das Offensichtliche gesehen, den Monk-Fall unbeschwert ad acta gelegt und mich um meine Angelegenheiten gekümmert.
    Und fast ein Jahrzehnt lang hatte ich überhaupt nicht mehr daran gedacht.
    Nur wenig unterhalb des Dachskadavers fanden wir Zoe und Lindsey Bennett. Entweder aus Sentimentalität oder aus Bequemlichkeit hatte er die Schwestern gemeinsam vergraben. Der auf den Leichen lastende Druck des Erdreichs hatte ihre Glieder verrenkt, sodass es aussah, als würden sie sich umarmen, dennoch zeigte der Torf seine unheimliche Wirkung. Beide Leichen waren bemerkenswert konserviert, Haut und Muskeln wiesen keine Beschädigungen auf, und das dichte Haar klebte noch an ihren Köpfen.
    Anders als bei Tina Williams gab es keine sichtbaren Verletzungen.
    «Warum hat er die beiden wohl nicht so zugerichtet?», fragte Lucas und betrachtete die unversehrten, mit Torf überzogenen Leichen. «Ein Zeichen des Respekts, oder was meinen Sie?»
    Ich bezweifelte, dass es mit Respekt zu tun hatte. Terry hatte Tina Williams aus reinem Selbsthass erschlagen. Nur war ihm das damals noch nicht bewusst gewesen. Was für ein Mensch er geworden war, hatte er erst jetzt erkannt.
    Die Polizei entdeckte Zoe Bennetts Tagebuch in seinem Wagen, eingewickelt in eine lehmverschmierte Plastiktüte. Den auffälligen gelben Mitsubishi hatte er vor Jahren verkauft, doch auch das Rätsel um den weißen Wagen, den man sowohl bei Lindsey Bennetts als auch bei Tina Williams’ Verschwinden gesehen hatte, war nun gelöst. In der Nacht ist es auf dem monochromen Filmmaterial von Überwachungskameras beinahe unmöglich, Gelb von Weiß zu unterscheiden. Laut Naysmith enthielt das Tagebuch über die simple Tatsache hinaus, dass Terrys Name erwähnt wurde, nichts Belastendes. Die Texte offenbarten eine Siebzehnjährige, die nicht so abgebrüht war,
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