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Verschwunden

Verschwunden

Titel: Verschwunden
Autoren: Amanda McLean
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Unruhe in Lanes Gedankenwelt und kaum zu findenden Schlaf, machte sie sich am Montag auf nach Flatbush.
    Als sie die Klasse betrat und Jeremy an seinem Platz vorfand, atmete sie erleichtert auf. Er schien in Ordnung, war natürlich still wie immer, aber hatte keine sichtbaren Verletzungen. Selbst auf der Wange war so gut wie nichts mehr zu sehen.
    Nach der Englisch-Stunde rief Lane ihn erneut zu sich.
„Hallo, mein Kleiner. Bist du wieder gesund?“
Jeremy nickte.
„Was hattest du denn?“
„Grippe“, sagte Jeremy leise. Überzeugend klang das nicht.
    „ Ich möchte dich gern etwas fragen, ja? Und das ist ganz wichtig. Du musst mir die Wahrheit sagen!“
Jeremy sah sie an.
„Hast du es gut zu Hause? Sind deine Eltern nett zu dir?“
    Jeremy nickte wieder nur.
„Tut dein Vater dir manchmal weh?“
„Nein!“, sagte er jetzt laut, als wolle er den Vorwurf schnell zunichte machen.
    „ Woher hattest du wirklich die Verletzung an der Wange?“
„Ich bin gegen den Tisch gestoßen.“
„Und du hattest wirklich nur die Grippe?“
„Ich hatte die Grippe.“
    Jedes Wort, das aus Jeremys Mund kam, klang wie einstudiert.
Es war zwecklos. Sie würde nichts aus ihm herausbekommen.
„Gut, dann hoffe ich, dass du nicht so bald wieder krank wirst. Und du weißt ja, wenn du etwas auf dem Herzen hast, kannst du jederzeit zu mir kommen.“
    Sie legte ihm eine Hand auf den Rücken und Jeremy zuckte zusammen.
Vor ihr brauchte er doch nun wirklich keine Angst zu haben. Aber wahrscheinlich war er in seinen jungen Jahren schon so vom Leben gezeichnet, dass er Gefahr witterte, wo gar keine war.
    Traurig und hilflos sah sie dem kleinen Jungen nach, den sie jeden Tag mehr in ihr Herz schloss. Sie wünschte nur, sie könnte ihm irgendwie helfen.
    ***
    Fest entschlossen machte sie sich auf den Weg zum Jugendamt.
Dort angekommen und ihr Anliegen vorgelegt, schickte man sie in ein Wartezimmer. Nach einer halben Stunde, in der sie in alten Zeitschriften geblättert hatte, wurde sie aufgerufen.
    Eine Mrs. Anderson stand in der Tür ihres Büros und winkte sie herbei. Sie setzte sich auf den gelben Plastikstuhl, auf den die Frau wies, und starrte die vertrocknete Pflanze an, die auf dem Schreibtisch stand.
    „ Womit kann ich Ihnen helfen?“
Sie hatte doch eben noch genau gewusst, was sie sagen wollte. Doch jetzt, so, wie Mrs. Anderson sie erwartungsvoll und auch ein bisschen genervt ansah, war ihr Kopf leer.
    „ Ich … ich bin hier, um … ich möchte einen Vorfall melden. Besser gesagt, einen Verdacht.“
„Na, dann erzählen Sie mal.“
    Lane dachte ganz fest an Jeremy und dann sprudelte es nur noch aus ihr heraus. Sie erzählte Mrs. Anderson von Jeremy und von den Verletzungen der letzten zwei Monate, von der angeblichen Grippe, nachdem sie bei seinem Elternhaus erschienen war, von Jeremys offensichtlicher Angst, seinen schmutzigen Klamotten und von Kyle Reed, der sagte, er sei nicht sein richtiger Vater. Er schien aus irgendeinem Grund einen Hass auf den Jungen zu haben.
    „ Und das alles sind Vermutungen?“
„Das sind Beweise, zumindest die Verletzungen und die dreckigen Kleider. Der Junge trägt manchmal eine ganze Woche lang dasselbe.“
„Das kommt vor. Vielleicht ist die Familie arm. Deshalb sind es noch keine schlechten Eltern.“
    „ Aber Kyle Reed hat mich angegriffen, als ich ihn darauf aufmerksam gemacht habe.“
„Er hat Sie angefasst?“
„Nein, verbal angegriffen, meinte ich. Er hat mich angeschrien und mir gedroht.“
    „ Miss Downey, ich kann mir gut vorstellen, wie einige Männer reagieren, wenn man ihnen mit solchen Anschuldigungen kommt.“
„Ich hatte ihn gar nicht beschuldigt. Ich wollte nur mit ihm reden.“
„Er anscheinend aber nicht mit Ihnen.“
    „ Sie versuchen die ganze Zeit nur, die Reeds zu verteidigen. Glauben Sie mir denn gar nicht? Wollen Sie denn gar nichts unternehmen? Es geht hier um einen kleinen Jungen, der – da bin ich mir ganz sicher – dringend Hilfe benötigt!“
Sie hatte jetzt Tränen in den Augen. Warum wollte man ihr denn keinen Glauben schenken?
    Mrs. Anderson sah sie lange an, schien zu überlegen.
„Na gut, wir werden mal jemanden vorbeischicken. Aber wenn da nichts bei rauskommt, müssen Sie die Sache ruhen lassen, okay?“
„Einverstanden. Ich danke Ihnen.“
    ***
    Als sie draußen vor dem Gebäude stand, zitterten ihr noch immer die Knie. Sie atmete schwer. Mann, hatte sie sich in Rage geredet. Sie hatte schon gedacht, dass sie erfolglos wieder nach Hause gehen
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