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037 - Die seltsame Gräfin

037 - Die seltsame Gräfin

Titel: 037 - Die seltsame Gräfin
Autoren: Edgar Wallace
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    Lois Margeritta Reddle saß auf der Kante ihres Bettes und hielt in der einen Hand eine große Tasse, in der anderen einen Brief. Die dicke Brotschnitte war zu dünn gestrichen, der Tee zu schwach aufgegossen und zu stark gezuckert, aber die Lektüre nahm Lois so in Anspruch, daß ihr diese kleinen Nachlässigkeiten ihrer Freundin Lizzy Smith nicht zum Bewußtsein kamen.
    Eine goldene Krone schmückte den Briefbogen, und das starke, griffige Papier strömte einen leichten Duft aus.
    307 Chester Square, London S. W.
    Die Gräfin von Moron hat mit Vergnügen die Nachricht erhalten, daß Miss Reddle ihre Stellung als Privatsekretärin am Montag, dem 17., antritt. Miss Reddle kann versichert sein, daß sie einen angenehmen Posten und viel freie Zeit zur Verfügung haben wird.
    Die Tür wurde aufgestoßen, und Lizzys strahlend rotes Gesicht erschien im Rahmen.
    »Das Bad ist fertig«, sagte sie kurz. »Aber nimm vorsichtshalber deine eigene Seife mit - durch die dünne Scheibe, die noch da ist, kannst du durchgucken. Hier hast du ein frisches Handtuch, und hier ist ein halbnasses. Was steht in dem Brief?«
    »Er ist von meiner Gräfin - ich fange am Montag bei ihr an.«
    Lizzy zog ein schiefes Gesicht.
    »Du schläfst natürlich auch dort? Das heißt also, daß ich mir wieder jemand suchen muß, der hier bei mir wohnt. Die letzte, mit der ich vor dir zusammenhauste, schnarchte.
    Aber das gute Zeugnis kann ich dir wenigstens ausstellen, Lois, du hast nicht geschnarcht.«
    Lois' Augen blitzten schalkhaft auf, und um ihren ausdrucksvollen Mund spielte ein Lächeln.
    »Du kannst dich jedenfalls nicht beklagen, daß ich dich nicht ordentlich versorgt hätte«, sagte Lizzy selbstzufrieden. »Du siehst doch ein, wie gut ich unseren Haushalt geführt habe, besser als alle anderen, mit denen du früher einmal zusammenwohntest. Ich habe dir alle Haushaltssorgen abgenommen, alles besorgt, eingekauft, gekocht und geputzt - das gibst du doch zu?«
    Lois legte ihren Arm um die Freundin und küßte ihr einfaches, gutmütiges Gesicht.
    »Ja - wir haben uns gut vertragen, und es tut mir sehr leid, daß ich fortgehen muß. Aber ich habe immer versucht vorwärtszukommen. Von der Schulbank in Leeds kam ich an das kleine Kassenpult bei Rooper und von dort zu einer Drogerie, dann zu der großen Rechtsanwaltsfirma -«
    »Groß?« unterbrach Lizzy sie ärgerlich. »Du willst den alten Shaddles doch nicht etwa groß nennen? Das Biest hat mir zu Weihnachten nicht einmal das Gehalt um zehn Shilling erhöht, und ich habe doch jetzt fünf Jahre lang die Schreibmaschine bei ihm geklopft! - Aber, mein Liebling, du wirst nun eine gute Partie machen, du wirst jemand aus der Gesellschaft heiraten. Die Gräfin ist sicher ein weiblicher Drache, aber sie ist reich, und du triffst vornehme Leute bei ihr. - Jetzt mußt du aber gehen und dein Bad nehmen; ich mache inzwischen die Setzeier. Werden wir Regen bekommen?«
    Lois rieb ihre weißen, wohlgerundeten Arme und fuhr leise mit der Hand über eine kleine, schwach rot schimmernde, sternförmige Narbe kurz über ihrem Ellenbogen.
    Lizzy glaubte fest daran, daß es Regen gebe, wenn Lois' Narbe sich dunkler färbte.
    »Das Ding mußt du dir elektrisch wegmachen lassen«, sagte das frische, derbe Mädchen, aber Lois schüttelte leicht den Kopf. »Du kannst auch lange Ärmel tragen, sie sind in dieser Saison modern.«
    Lois hörte während des Bades ihre Freundin in der kleinen Küche herumwirtschaften. Während die Setzeier in der Pfanne brutzelten, pfiff Lizzy die Melodie des letzten Tanzschlagers.
    Die beiden hatten zusammen das Obergeschoß eines Hauses in der Charlotte Street gemietet, seitdem Lois nach London gekommen war. Sie war eine Waise, ihr Vater starb, als sie noch klein war, und sie konnte sich auch nur dunkel auf die freundliche, mütterliche Frau besinnen, die sie während ihrer ersten Schulzeit betreut hatte. Später wurde sie von einer weitläufig verwandten Tante erzogen, die sich aber nur um ihre vielen eingebildeten Leiden kümmerte. Sie starb bald, trotz ihrer vielen Medizinflaschen oder vielleicht gerade deshalb, und Lois kam dann zu fremden Leuten.
    »Der Gräfin wird deine vornehme Ausdrucksweise gefallen«, sagte Lizzy, als das hübsche Mädchen in die Küche kam.
    »Ich wußte nicht, daß ich vornehm spreche«, erwiderte Lois in guter Laune.
    Lizzy schwenkte mit einer geschickten Bewegung die Eier aus der Bratpfanne auf den Teller.
    »Sicher hat auch ihn das sofort für dich
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