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Verschwunden

Verschwunden

Titel: Verschwunden
Autoren: Amanda McLean
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musste. Sie konnte es keine Sekunde länger ertragen.
Dann öffnete er endlich seine Lippen. Was würde er ihr sagen? Würde sie ihm helfen können?
    „ Miss Downey?“
„Ja, Jeremy?“
„Darf ich jetzt in die Pause gehen?“
Sie wusste, er würde ihr nichts sagen und erwiderte: „Natürlich, Jeremy.“
Dann sah sie ihm traurig hinterher.
    ***
    Nach dem Unterricht machte sich Lane auf ins Schulbüro und fragte die alternde Sekretärin Mrs. Sheldon nach der Telefonnummer des zuständigen Jugendamtes.
    „ Was wollen Sie denn melden?“, wollte die wissen, neugierig wie sie war. Sie tratschte gern und Lane wusste, dass, wenn sie ihr auch nur ein Sterbenswörtchen sagte, es am nächsten Tag die gesamte Lehrerschaft wissen würde.
„Es geht nur um einen kleinen Jungen in meiner Klasse. Ich mache mir Sorgen und vermute, dass Häusliche Gewalt im Spiel ist.“
    „ Hat er sich Ihnen denn anvertraut?“
„Nein, leider nicht. Aber da ist ganz sicher etwas faul, das muss unbedingt geprüft werden.“
„Na, wenn Sie keine Beweise haben, wird die Jugendfürsorge auch nichts tun.“
„Nicht einmal, wenn der Verdacht besteht?“
„Wir sind hier in Flatbush, Miss Downey. Wenn die jedem Verdacht nachgehen würden, bräuchten die eintausend Mitarbeiter.“
    Lane verließ aller Mut. Hatte es überhaupt noch Sinn, da anzurufen?
Doch dann musste sie wieder an Jeremy denken und wie erbärmlich er da gesessen hatte.
Sie musste es einfach versuchen. Sonst würde sie schlaflose Nächte haben.
    „ Geben Sie mir bitte trotzdem die Nummer. Ein Anruf kostet ja nichts.“
„Denken Sie an meine Worte, wenn die Sie gleich abwimmeln. Sie sind nicht die Erste, die Mitleid mit einem ihrer Schüler hat und helfen will. Man kann aber nicht jedem helfen auf dieser Welt.“
„Man kann es aber versuchen“, sagte Lane, riss Mrs. Sheldon den Notizzettel aus der Hand und ging.
    Blöde Vogelscheuche, dachte Lane. Wenn jeder denken würde wie die, wer weiß, wie dann die Welt erst aussehen würde.
Sie würde Jeremy nicht im Stich lassen. Sie würde der Sache auf den Grund gehen!
    ***
    Mrs. Sheldon hatte recht gehabt.
Innerhalb einer Minute hatte man sie aufgeklärt, man könnte nur etwas unternehmen, wenn ein eindeutiger Beweis oder ein Geständnis des Jungen vorhanden war.
    „ Der Junge hat ganz eindeutig Angst, der wird nichts sagen.“, hatte sie versucht zu erklären.
„Dann können wir leider nichts tun. Wenn Sie etwas aus ihm herausbekommen, rufen Sie wieder an. Bis dahin tut es mir leid. Auf Wiederhören!“
    „ Warten Sie! Können Sie denn nicht wenigstens mal bei ihm zu Hause vorbeischauen und sehen, ob da alles in Ordnung ist?“
„Miss! Wenn wir das bei jedem Verdacht machen würden, wissen Sie, wie viele Mitarbeiter wir dann bräuchten?“
Eintausend?, dachte Lane.
    „ Sie sind doch seine Lehrerin, lassen Sie sich was einfallen und schauen Sie selbst bei denen vorbei! Auf Wiedersehen!“
Und schon hörte sie einen Knacks in der Leitung. Die Dame hatte aufgelegt.
    Was hatte sie ihr geraten? Selbst einmal bei Jeremy vorbeizusehen? Unter welchem Vorwand denn? Und wenn sein Vater wirklich gewalttätig war? Sie wollte sich nicht selbst in Gefahr bringen.
Oh, auf was hatte sie sich da nur eingelassen?
    Doch aufgeben würde sie auch nicht so einfach. Ihr würde schon noch etwas einfallen.

3
    Sie stand vor der Treppe eines nichtssagenden Hauses in der East 9 th Street.
Sie hatte sich nicht wohl dabei gefühlt, den ganzen Weg zu Fuß zu gehen und dabei nach dem Haus der Reeds zu suchen. In Momenten wie diesen wünschte sie sich manchmal ein Auto, doch den Rest der Zeit kam sie ganz gut ohne aus.
    Die Subway fuhr sie direkt von ihrer Wohngegend – den Prospect Heights – nach Flatbush, es waren gerade einmal fünf Stationen. Wenn sie bis zum Ende durchfuhr, kam sie nach Coney Island, und wenn sie dieselbe Linie – die Q-Linie – in die andere Richtung nahm, kam sie nach Manhattan. Vorbei am Times Square konnte sie direkt zum Central Park fahren, wenn sie es wollte.
    Sie kam überall hin, wo sie hin musste. Doch in dieser Gegend hielt sie sich nicht gerne auf. Es waren ihr mehr als eine finstere Gestalt über den Weg gelaufen. Flatbush war nicht gerade eine Vorzeigegegend.
Und so atmete sie erleichtert auf, als sie die richtige Hausnummer entdeckte.
    Doch nun, als sie vor dem Haus stand, wurde ihr mulmig. Sie hatte sich zurechtgelegt, was sie tun und sagen würde, hatte es sogar vor dem Spiegel geprobt, aber woher sollte sie wissen,
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