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Verschwunden

Verschwunden

Titel: Verschwunden
Autoren: Amanda McLean
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weiter.
    „ Warum denn nicht?“
„Weil er komisch ist.“
„Aber sieh mal, er hat überhaupt keine Freunde. Er könnte bestimmt gut einen gebrauchen, vielleicht ist er dann ja auch nicht mehr so komisch.“
    „ Ich weiß, warum der keine Freunde hat. Die Kinder haben Angst vor dem. Neulich wollten ja zwei Jungen mit ihm spielen und er ist gleich ausgerastet und hat gesagt, er will eine Zigarette auf ihre Arme drücken. Da sind die schnell weg von ihm. Miss Downey, der ist nicht normal, mit dem will keiner spielen.“
    „ Ist schon gut, Jordan, danke“, sagte Lane nur und musste sich setzen.
Jeremy soll ausgerastet sein? Das konnte sie sich bei diesem kleinen, immer ruhigen Wesen gar nicht vorstellen.
Und was hatte Jordan ihr da erzählt? Jeremy habe den anderen Jungs gedroht, Zigaretten an ihnen auszudrücken? Wie sollte er auf so etwas kommen, wenn nicht …?
    ***
    Sie hielt es nicht länger aus, mitten im Unterricht schnappte sie sich Jeremy und ging mit ihm in den Schulflur.
„Jeremy, wir müssen dringend miteinander reden!“
„Ich soll nicht mehr mit Ihnen reden, hat Kyle gesagt.“
Kyle? Durfte er ihn nicht einmal „Dad“ nennen?
    „ Ach, hat er das, ja? Ich bin aber deine Lehrerin und du musst wohl oder übel mit mir reden. Jeremy, ich habe gehört, dass du ein paar Kindern damit gedroht hast, Zigaretten auf ihren Armen auszudrücken.“
Jetzt hatte Jeremy Angst in den Augen. Er starrte Lane an.
    „ Stimmt das, Jeremy? Stimmt das?“
Er sagte nichts.
„Jeremy! Antworte mir! Hast du das gesagt?“
Jeremy fing an zu weinen.
    „ Es tut mir leid, Kleiner. Ich hätte dich nicht so anschreien sollen.“
Sie ging in die Hocke und umarmte ihn leicht.
Er zuckte wieder zusammen und sie ließ ihn los.
    „ Warum hast du mit so etwas gedroht, Jeremy?“, fragte sie nun behutsamer. „Weißt du nicht, wie schlimm das ist? Woher hast du denn nur solche Sachen? Hat das schon mal jemand mit dir gemacht?“
    Jeremy fasste sich instinktiv an den Arm.
Voller Angst, was sie gleich sehen würde, nahm Lane Jeremys Hand beiseite und schob den Ärmel seiner Sweat-Jacke hoch.
    Sofort stiegen ihr Tränen in die Augen bei dem Anblick, der sich ihr jetzt bot.
Jeremys zierlicher Arm war voll von Brandmalen, älteren und frischen. Anscheinend waren hunderte Zigaretten an ihm ausgedrückt worden.
    Sie konnte es nicht fassen. Sanft hielt sie seinen entstellten Arm in ihrer Hand und fand keine Worte. Alles, was sie tun konnte, war diesen Arm anzusehen und das Gesicht dieses kleinen Jungen, das so viel Schmerz zeigte.
    „ Jeremy, wer war das?“
Er schluchzte jetzt stark. Sie wusste nicht, ob aus Schmerz oder Angst. Sicher hatte er große Furcht davor, was Kyle tun würde, wenn er erfuhr, dass ihr Geheimnis aufgeflogen war.
„War es Kyle?“
Jeremy nickte, nur ganz leicht. Doch das war alles, was Lane brauchte.

6
    Sofort nach Schulschluss rief sie von ihrem Handy aus die Jugendfürsorge an.
„Ich wollte mich mal erkundigen, ob Sie schon etwas unternommen haben“, sagte Lane zu Mrs. Anderson.
„Ja, in der Tat. Wir haben gestern jemanden hingeschickt, nach vorheriger Ankündigung.“
    Lane konnte es nicht fassen. Nach vorheriger Ankündigung? Na, toll! Dann hatten sie sich ja vorbereiten und sich alles schön zurechtlegen können.
    „ Und?“
„Wir haben nichts Auffälliges entdeckt!“
„Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!“ Jetzt war Lane richtig sauer. „Was soll das denn heißen? Haben Sie sich den Vater vorgenommen?“
„Ja, und ich muss zugeben, die Familie ist ein wenig asozial, besonders Mr. Reed. Seine Umgangsform lässt zu wünschen übrig. Aber was den Jungen angeht … wir haben mit ihm geredet und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass er seinem Alter entsprechend entwickelt ist.“
    „ Haben Sie sich den Jungen genauer angesehen?“, fragte sie jetzt. „Haben Sie sich mal seine Arme angesehen?“
„Nein, dazu gab es keinen Grund.“
„Das hätten sie aber tun sollen. Denn die sind voll von Verbrennungen.“
    „ Mrs. Reed hat uns schon erzählt, dass Jeremy wohl etwas tollpatschig ist und öfter mal irgendwo gegen stößt oder sich verbrennt.“
„Und das haben Sie geglaubt?“ Lane konnte es nicht fassen.
    „ Hören Sie, Miss Downey, unser Mitarbeiter hat sogar unter vier Augen mit Jeremy gesprochen und der Junge hat ihm versichert, dass es ihm gut geht und dass das, was seine Mutter sagt, stimmt.“
„Natürlich sagt er das! Er hat ja auch viel zu große Angst vor seinem Vater! Der drückt nämlich
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