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Verschärftes Verhör

Verschärftes Verhör

Titel: Verschärftes Verhör
Autoren: Jenny Siler
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zugestoßen.«
    Harry schloss die Tür hinter ihnen. »Ich habe seine Mutter gefunden. Ich hatte recht; man hat sie nach der Entbindung in ein politisches Gefängnis gesteckt.«
    »Und wo ist sie jetzt?«
    »Verschwunden«, flüsterte Harry. Dann holte er Moussaouis Visitenkarte aus der Tasche, auf die er den Namen Yassine und die Adresse in Anfa gekritzelt hatte. »Ihre Eltern.«
    Kat warf einen Blick auf die verschmierte Schrift und schaute Harry an. »Was ist los?«
    »Sie wussten von ihm«, sagte er leise. »Die Familie wusste von Jamal.«
    Kat schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht.« Dann dämmerte es ihr.
    Harry sah, wie ihr Gesichtsausdruck von Verblüffung zu Verständnis und Ekel wechselte. »Ich werde Ihren Pass abholen. Sie fahren mit Jamal nach Anfa.«
    »Wie kommen Sie darauf, dass seine Familie ihm jetzt helfen könnte?«
    »Gar nicht«, erwiderte er aufrichtig. »Aber mehr können wir nicht tun.«
    Er holte sein letztes Bargeld aus der Tasche, zählte den Betrag für die Taxifahrt zur Druckerei ab und drückte Kat den Rest in die Hand.
    »Was haben Sie vor?«, wollte sie wissen.
    »Wir treffen uns an der Hassan-II.-Moschee. Um acht Uhr. Sollte ich bis Viertel nach nicht da sein, fahren Sie ohne mich.«
    »Nein«, widersprach Kat. »Wir bleiben zusammen. Wir können zuerst zu Rafa und danach nach Anfa fahren. Kein Grund zur Eile.«
    Doch Harry hatte sich schon zur Treppe gewandt. »Acht Uhr«, wiederholte er. Dann log er, um sich und Kat einen Gefallen zu tun. »Ich werde da sein. Versprochen.«

31
     
     
     
     
    Die Straße war typisch für die wohlhabenderen Stadtviertel: weißer Putz und schwarzes Schmiedeeisen, hochgewachsene Weihnachtssterne, die an Gartenmauern emporkletterten, abweisend verschlossene Fensterläden. Auf dem Gehweg sah man Kinder, Dienstboten und Kindermädchen, die Wagen schoben oder die Kleinen an der Hand hielten, alte Frauen in Abayas, die Brot fürs Abendessen gekauft hatten.
    Kat blieb vor einem hohen Eisentor stehen und holte ein letztes Mal die Visitenkarte aus der Tasche.
    »Ist es das Haus?«, fragte Jamal zitternd.
    Kat hatte dem Jungen nicht verraten, weshalb sie wirklich hergekommen waren. Harry habe lediglich gesagt, hier wohne jemand, der ihnen vielleicht helfen könne. »Deine Mutter hat früher hier gewohnt«, sagte sie jetzt. »Bevor du geboren wurdest.«
    »Hat sie für die Leute gearbeitet?«
    »Nein, Jamal.«
    Der Junge spähte durch das Tor in den Vorgarten und betrachtete verständnislos das imposante Haus.
    »Sie ist hier aufgewachsen«, sagte Kat und drückte die Messingklingel. »Das war ihr Zuhause.«
    Eine Frauenstimme meldete sich an der Sprechanlage und begrüßte sie in rauem marokkanischem Arabisch.
    »Madame Yassine?«, fragte Kat.
    Es klickte, dann wurde es still. Kat wollte noch einmal klingeln, als sich eine zweite Stimme meldete, die kultivierter klang.
    »Hier spricht Madame Yassine.«
    »Ich heiße Katherine Caldwell«, sagte Kat in ihrem respektvollsten Arabisch. »Ich würde gern hereinkommen und mit Ihnen sprechen.«
    »Worüber wollen Sie mit mir sprechen?«, erkundigte sich die Frau nach einer längeren Pause.
    »Es geht um Ihre Tochter, Madame.«
    Erneute Pause. »Was ist mit meiner Tochter?«, fragte die Stimme argwöhnisch.
    »Wenn Sie mich kurz hereinlassen würden …«, drängte Kat.
    Schweigen.
    Kat blickte am Haus empor und sah, wie sich eine Gestalt am Fenster bewegte und wieder verschwand. »Das hier ist Ihr Enkel, Madame!«, rief sie so laut, dass man sie auch ohne die Sprechanlage drinnen hören konnte. »Er heißt Jamal!« Der Junge schaute sie angstvoll an. »Keine Sorge, sie wird uns hineinlassen.« Alles andere schien undenkbar.
    Es klickte wieder in der Sprechanlage, und Kat war einen Moment lang ungeheuer erleichtert. Sie legte die Hand ans Tor, wollte es aufdrücken, doch es blieb verschlossen.
    »Tut mir leid«, meldete sich die raue Stimme wieder. »Madame bittet Sie, nicht mehr herzukommen.«
     
    »Mr Comfort«, begrüßte ihn Rafa im Laden und grinste wie ein billiger Stricher. »Herein, herein. Ich gebe Ihrem Dokument nur noch den Feinschliff.« Er nickte unterwürfig, so dass Harry die kahle Stelle auf seinem Kopf sehen konnte, und deutete auf einen dicken Vorhang, der den hinteren Bereich vom Laden trennte. »Sie können dort hinten warten. Es ist viel bequemer.«
    Harry trat vor. »Ich kann mich gar nicht erinnern, Ihnen meinen Namen gesagt zu haben.«
    Rafa zuckte zusammen, fing sich aber wieder.
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