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Verlorene Liebe

Verlorene Liebe

Titel: Verlorene Liebe
Autoren: Nora Roberts
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der sich lieber zurückhielt und kaum ein Wort über die Lippen brachte. »Ich fürchte, ich muß gestehen, daß ich mich nicht sehr gut an ihn erinnere.«
    »Macht nichts. Den meisten Menschen fällt er nicht besonders auf.« Ein kurzes Lächeln zuckte über ihre Lippen und verging rasch. Ihre Hände lagen im Schoß, und sie fing an, den Saum der Tischdecke zu kneten. »Jerald war schon immer unaufdringlich. Dabei ist er hochintelligent. Er gehört zu den Spitzenschülern seiner Klasse. Seit er auf der Oberschule ist, hat sein Name in jedem Jahr auf der Liste der Klassenbesten gestanden. Einige sehr renommierte Privat-Colleges haben sich bereit erklärt, ihn aufzunehmen, aber er wird natürlich der Familientradition folgen und nach Princeton gehen.« Sie redete immer schneller, so als befände sie sich auf der Achterbahn in der Abwärtsschleife und befürchte, der Atem würde ihr ausgehen. »Es bekümmert mich, daß er mehr Zeit an seinem Computer als mit seinen Mitmenschen verbringt. Ich selbst verstehe von solchen Apparaten ja nichts, aber Jerald hat ein ganz besonderes Geschick, wenn es um Maschinen geht. Ganz ehrlich, Tess, der Junge hat mir nie auch nur einen Moment lang Ärger gemacht. Er war nie unhöflich oder rebellisch. Wenn Freunde mir erzählen, wie viel Kummer ihnen ihre Sprößlinge bereiten, bin ich insgeheim überglücklich, daß Jerald stets ein so ruhiges und verständnisvolles Kind gewesen ist. Mag sein, daß es bei ihm etwas mit der Liebenswürdigkeit hapert, aber er besitzt einen wirklich guten Kern.«
    »Also der ideale Sohn«, murmelte Tess. Sie vermied lieber den Ausdruck »perfekt«, weil sich dahinter zu viele Dinge verbergen ließen, die unter den Teppich gekehrt worden waren.
    »Ja, genau. Und er betet Charlton geradezu an. Vielleicht ein bißchen zu sehr, wenn du verstehst, was ich meine. Manchmal wäre etwas weniger angebracht, aber auf der anderen Seite gibt es einem so viel, wenn ein Junge zu seinem Vater aufblickt. Wie dem auch sei, wir wurden nie mit den Problemen konfrontiert, denen sich heutzutage so viele Eltern gegenübersehen. Drogen, Trotz, Sex und so weiter. Aber vor kurzem …«
    Sie stockte, und Tess sagte: »Laß dir nur Zeit, Claire.«
    »Danke.« Sie griff nach dem Glas und trank nur so viel, um ihre trockene Kehle anzufeuchten. »Seit einigen Monaten verbringt Jerald immer mehr Zeit allein. Jede Nacht schließt er sich in seinem Zimmer ein. Natürlich weiß ich, daß er sehr viel für die Schule arbeitet, und ich habe auch schon mit ihm darüber gesprochen, ob er nicht vielleicht etwas kürzer treten könnte. An manchen Morgen sieht er richtig übernächtigt aus. Und dann weiß man nie, woran man bei ihm ist, weil seine Launen sich ständig wandeln. Ich war in der letzten Zeit ziemlich im Wahlkampf eingespannt, deswegen habe ich versucht, diesem Stimmungswechsel nicht allzu viel Bedeutung beizumessen. Schließlich bin ich selbst ja auch nicht ständig bester Laune.«
    »Hast du mit ihm darüber geredet?«
    »Ich habe es versucht. Vielleicht nicht intensiv genug. Ich hätte mir auch nie vorgestellt, daß es so schwierig sein könnte, zu ihm durchzudringen. Vor einiger Zeit kam er abends aus der Bibliothek zurück, und was soll ich dir sagen, Tess, er sah furchtbar aus. Die Kleidung in Unordnung und das Gesicht zerkratzt. Offensichtlich war er in irgendeine Auseinandersetzung geraten, aber das einzige, was er dazu zu sagen hatte, war, er sei vom Rad gefallen. Damals habe ich es dabei bewenden lassen und ihn nicht bedrängt, die Wahrheit zu sagen. Heute bereue ich das. Selbst als sein Vater Zweifel anmeldete, habe ich mich auf Jeralds Seite gestellt, obwohl ich doch ganz genau wußte, daß der Junge an dem Abend nicht mit dem Rad, sondern mit dem Wagen unterwegs gewesen ist. Ich sagte mir, wir hätten seine Privatsphäre zu respektieren, und ansonsten sei er ja immer ein so lieber Junge gewesen. Doch seitdem ist irgend etwas in seinem Blick, das mich zutiefst beunruhigt.«
    »Claire, vermutest du etwa, dein Sohn nimmt Drogen?«
    »Ich weiß es nicht.« Für einen Moment konnte sie nicht anders, als ihr Gesicht mit beiden Händen zu bedecken. »Ich habe wirklich keine Ahnung, was ich vermuten soll. Ich weiß nur, daß ich etwas unternehmen muß, bevor es noch schlimmer wird. Erst gestern hatte er in der Schule eine furchtbare Schlägerei. Der Rektor hat ihn suspendiert. Tess, angeblich soll Jerald versucht haben, den anderen Jungen zu töten … mit seinen bloßen
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