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Der Hundeknochen

Der Hundeknochen

Titel: Der Hundeknochen
Autoren: Niklaus Schmid
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1.
     
     
     
    Alles war perfekt geplant.
    Der schnauzbärtige Mann am Steuer der schweren Limousine drehte eine Runde durch das Meidericher Sanierungsgebiet. Langsam glitt der Wagen durch die Straßen mit den bröckelnden Fassaden, fuhr an Kujawas Trinkhalle vorbei und an kleinen Gewerbebetrieben, an Mietskasernen und dem einen oder anderen Gebäude aus der Gründerzeit.
    Der Schnauzbart machte seinen Beifahrer, einen bleichen, dünnen Mann, auf einen Jugendstilbau aufmerksam, in dem jetzt eine Moschee eingerichtet war. Dann mußte er sich wieder auf die Umgebung konzentrieren. Da waren mannsdicke Rohre, die eine Seitenstraße überbrückten, an deren Ende Kühltürme, dünne Schornsteine und zwei wuchtige Hochöfen wie Kathedralen in den Himmel strebten. Doch der letzte Abstich lag schon ein Jahrzehnt zurück.
    Die geduckten Häuser einer Werksiedlung tauchten auf, an den Wänden Graffiti gegen Spekulanten und die trotzige Parole ‹Wir bleiben›. In den Fenstern lehnten müde alte Menschen, die den jungen Leuten nachschauten, die unternehmungslustig durch das Tor des Hüttenwerks schritten, das jetzt ein Freizeitpark war.
    Der Schnauzbart fragte den Beifahrer nach einem Umschlag, entnahm dem braunen Kuvert ein Foto und steckte es in seine Jackentasche. »Wir wollen ja keinen Fehler machen«, sagte er und setzte den Blinker zum Abbiegen.
    Ein Ruckein machte deutlich, daß der Wagen die Gleise einer Werkbahn überquerte. Nach einer Kurve sahen sie ein hohes Gebäude, das mit Plastikplanen verhüllt war.
    Während der Fahrer im Schrittempo weiterfuhr, lauschte er in ein Telefon, murmelte seine Zustimmung und blickte auf die Uhr an seinem Handgelenk. Kurz darauf lenkte er den Wagen in eine Seitenstraße, stellte ihn dort nahe einer Eckkneipe ab und beobachtete, wie ein Arbeiter eilig die Leiter eines Baukrans herabkam. Als der Kranführer den Boden erreicht hatte, stieß der Fahrer den Mann an seiner Seite mit dem Ellbogen an. »Dann wollen wir mal!«
    Der Beifahrer schwieg. Er wußte, was er zu tun hatte.
     
     
    Als die Sirene zur Mittagspause ertönte, hörten die anderen Geräusche auf, das Hämmern und Rattern und der schrille Pfeifton einer Sandstrahlpistole. Nur ein feines, kaum wahrnehmbares Surren war in der Luft, verursacht von dem Baukran, der einen Gitterkorb zum offenen Dach des Hauses schwenkte. Der Mann mit dem Schnauzbart, der hier einschwebte, beobachtete, wie unter ihm ein Arbeiter, der mit einem Sandstrahlgebläse gearbeitet hatte, Helm und Schutzmaske ablegte und eine Butterbrotdose aus Aluminium öffnete.
    Der Anblick brachte ein angewidertes Lächeln auf das Gesicht des Mannes in dem Korb. Was für ein tolles Leben, dachte er, Stunde um Stunde im Staub verbringen, um dann in ein paar Minuten das Essen hinunterzuschlingen! Wenn ich hier gleich fertig bin, ging es ihm durch den Kopf, habe ich mehr verdient, als der arme Tropf in einem ganzen Jahr.
    Er verglich das Gesicht des Arbeiters mit dem Foto, dann gab er nach oben ein Zeichen.
    Fast lautlos senkte sich die Krangondel. Der Mann stieg aus und ging auf den Arbeiter zu, der auf einer Kiste saß und ihn erst wahrnahm, als er schon fast neben ihm stand und mit einem Revolver auf ihn zielte. In die vor Erstaunen weit aufgerissenen Augen schleuderte der Schnauzbärtige eine Handvoll von dem Reinigungssand, der fingerdick den Boden bedeckte. Zwei, drei Stöße mit dem Revolverlauf trieben den Arbeiter zu einer Fensteröffnung. Er wehrte sich nicht, wimmerte nur: »Was ist… ich bestimmt nichts verraten… bitte.«
    »Dafür werde ich sorgen«, sagte der Mann mit der Waffe.
    Er warf den Kompressor an, schnappte sich die Sanddüse und richtete den Strahl auf den Arbeiter, der mit erhobenen Armen sein Gesicht zu schützen suchte. Der Strahl fraß sich an der Schutzkleidung hoch, traf auf die ungeschützten Finger, die noch immer die Aluminiumdose hielten und fetzte sie ihm aus der Hand. Sandkörner drangen dem Arbeiter ins Gesicht und, als er sich umdrehte, auch in den Nacken.
    Er ging auf die Knie, er flehte: »Nein, bitte nicht … nie petze nie!«
    Es half ihm nicht. Um dem Schmerz zu entgehen, gab es nur einen Ausweg: Er mußte springen – und er tat es.
    Der Schnauzbart trat an die Fensterbrüstung, warf einen Blick hinunter auf die bizarr verrenkte Gestalt und nickte zufrieden. Keine Augenzeugen, keine Kampfspuren, keine Fingerabdrücke, alles war schnell und präzise wie bei einem chirurgischen Eingriff gegangen. Überflüssiges war entfernt
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