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Verlieb dich nie in einen Vargas

Verlieb dich nie in einen Vargas

Titel: Verlieb dich nie in einen Vargas
Autoren: Sarah Ockler
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zu Emilios Freunden kannte er den Text.
    »Warum lachst du? Ich bin ein ausgezeichneter Sänger«, sagte er.
    »Ich weiß. Ich kriege diesen Song ständig vorgesungen, aber du bist der Einzige, der ihn richtig hinbekommt.«
    »Natürlich, querida . Was glaubst du, wie du zu deinem Namen gekommen bist?«
    Ich zuckte mit den Achseln. »Das Medaillon. Der heilige Judas.«
    »Ay, Dios mío . Er stammt von den Beatles, als wir angefangen haben, Englisch zu lernen.«
    Ich zog meinen Stuhl näher ans Bett heran und legte meine Hand auf Papis gesunden Arm. »Ich dachte, ihr hättet einen Englischkurs besucht oder so.«
    »Ja«, erwiderte er, »und der Dozent hat uns ermuntert, eine Fernsehsendung oder Musik zu finden, die uns beim Lernen half. Mom und mir gelang es nie, uns auf etwas zu einigen, und die Sache endete jedes Mal mit einem großen Streit, den wir immer auf Spanisch führten, was uns also auch nicht weiterbrachte.« Papi nahm einen Schluck Wasser aus einem Plastikbecher, der auf seinem Nachttischchen stand.
    »Eines Abends schaltete Mom durch die Kanäle, und sie stieß auf dieses Beatles-Konzert, also guckten wir das. Es war ein paar Stunden lang, und am Ende sagte sie: ›Sieht so aus, als hätten wir endlich etwas gefunden, auf das wir uns einigen können.‹ Am nächsten Tag habe ich sämtliche Kassetten der Beatles gekauft, die ich finden konnte. Wir haben sie uns jeden Abend beim Essen angehört, die Worte aufgeschrieben und für unseren Sprachkurs geübt. Als deine Schwestern auf der Welt waren, konnten wir so gut Englisch wie jedermann. Was gut war, weil wir wegen der vielen Babys kaum noch Zeit für gemeinsame Mahlzeiten hatten, geschweige denn für Musik und Gespräche.«
    Ich wusste, dass sie hierher ausgewandert waren, bevor meine Schwestern geboren wurden, wusste, dass sie erst Englisch hatten lernen und Wurzeln hatten schlagen müssen. Ich wusste auch, dass es zwischen ihnen nicht immer perfekt gelaufen war, aber sie liebten sich über alles. Man erkannte es daran, wie Mom die Hand auf seine Schulter legte, wenn sie sich vorbeugte, um ensalada rusa auf seinen Teller zu häufen. Man sah es an den Blicken, die Papi ihr schenkte; selbst durch den Schleier des Dämons leuchteten seine Augen noch immer auf, sobald sie nach der Arbeit zur Tür hereinkam. Sie hatten sich ihr für immer gemeinsam aufgebaut, vier Kinder großgezogen, ein ganzes Leben aus Erinnerungen und Lachen und Weinen gewoben.
    Und nun gab es da dieses Ding, diese furchtbare Krankheit, die sie letztendlich auseinanderbringen würde, die ihr Papi wegnehmen würde – Erinnerung um Erinnerung.
    »Wein nicht, mi querida . Das Beste habe ich dir doch noch gar nicht erzählt«, sagte er. »Spulen wir viele Jahre vor. Mom merkte, dass sie schwanger mit dir war. Sie kam zu mir auf die Arbeit, um es mir zu erzählen. Ich dachte, sie wollte sich einen Scherz mit mir erlauben. Sie sagte: ›Das habe ich dem Arzt auch gesagt. Gott muss sich einen Scherz mit mir erlauben.‹«
    »Und jetzt soll ich mich besser fühlen?«
    Papi tätschelte meine Hand. »Wir waren überrascht, das ist alles. Wir dachten, das mit dem Babykriegen läge hinter uns. Aber wir haben uns gefreut, Juju. Wir sind an dem Abend tanzen gegangen, um es zu feiern, nur dass Mom zu müde zum Tanzen war und wir stattdessen eine Menge gegessen haben.
    Es stellte sich heraus, dass du ein unruhiges Baby warst«, erzählte er. »Mom konnte nicht schlafen, weil du immer Purzelbäume geschlagen hast, als könntest du es nicht erwarten, auf die Welt zu kommen. Eines Abends habe ich dir etwas vorgesungen, um zu sehen, ob es dich beruhigen würde. Das Problem war nur, dass du anfingst, zu treten und dich zu melden, wann immer ich aufhörte. Also habe ich überlegt, was das längste Lied war, das ich kannte, und dir Abend für Abend Hey, Jude vorgesungen. Nach einer Weile wurde es unser Lied – deins und meins. Ich habe zu Mom gesagt, es sei, als hättest du dir deinen Namen schon ausgesucht, und ich könnte mir nicht vorstellen, dich anders zu nennen, und wenn er ihr nicht gefiele, würden wir uns wieder auf Spanisch streiten.«
    Papi trank noch einen Schluck Wasser. Er schloss die Augen, und ich dachte, er sei vielleicht eingenickt, aber stattdessen fing er wieder an, das Lied zu summen. Unser Lied. Mein Name war nichts an mich Weitergereichtes oder ein Strohhalm, zu dem sie in letzter Minute gegriffen hatten, weil ihnen die Ideen ausgegangen waren. Er gehörte mir und ihm, genau wie
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