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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich
Autoren: Ravensburger
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schwach, dass ich mich dichter über ihn hätte beugen müssen, um die Worte zu verstehen, was ich nicht wagte, weil ich befürchtete, es könnte sich um eine letzte List handeln. Um einen letzten Versuch, meine Kehle zu kosten. Doch dann wusste ich, dass es keine List war, denn in seinen Augen war zu erkennen, dass er etwas anderes als mich sah. Deshalb näherte ich mich doch und lauschte, was der Vampir zu sagen hatte.
    »So … ist es … also. Würdest du … dir … das … ansehen. Ich wusste, dass du es kannst. Ich wusste es. Danke. Danke. Danke …«
    Seine Augen fielen zu und sein Körper begann das Leben aus ihm herauszuschütteln. Die verbrannte Kleidung fiel von ihm ab und an mehreren Stellen platzte die Haut auf, seine Zähne lockerten sich und fielen einer nach dem anderen in seine Kehle hinab. Die Zunge folgte. Dann lösten sich die Muskeln und das Gewebe unter der Haut auf. Es war unfassbar, wie der kräftige perdu vor unseren Augen immer mehr zusammenschrumpfte, bis von ihm nur einzelne Zellen und dann nur noch Teile von Zellen übrig waren. Im nächsten Moment war er fort, als hätte es ihn nie gegeben.
    Ich ließ mich zurückfallen und kroch fast blind gemeinsam mit Sagan die Uferböschung hinauf. Wie lange wir dort lagen, weiß ich nicht. Ich berührte seine Hand, hielt sie aber nicht fest. Dafür fehlte mir die Kraft. Wir drehten unsere Köpfe zueinander, doch wir sprachen nicht. Meine Augen hielt ich nahezu die ganze Zeit geschlossen und alles, was ich spürte, war, wie mir Wasser übers Gesicht lief.
    »Vorbei«, sagte Sagan schließlich. »Es ist vorbei.«
    Vielleicht schliefen wir ein wenig. Ich weiß es nicht.
    »Warum hast du den Bunker verlassen?«, fragte ich.
    Ich trug meine Sonnenbrille. Sagan blickte in den Himmel. Die Sonne stand jetzt im Zenit.
    »Die Webcams hatten keine Verbindung mehr und mit dem Funkgerät konnte ich dich nicht mehr erreichen«, sagte er. »Womöglich hat es etwas abbekommen, als du …«
    »Ich weiß, kann sein.«
    »Deshalb bin ich rausgelaufen. Ich wollte helfen, aber ich konnte dich nirgends finden. Also habe ich meinen Laptop auf der Mauer abgestellt und bin die Treppe hinaufgestiegen. Dort kamen mir die soleils entgegen. Ich dachte, jetzt ist alles vorbei. Ich dachte, sie wären perdus , die dich jagten. Als wir jedoch sahen, was Moreau mit dir tat …«
    »La perte.«
    »Genau. Deshalb bin ich auf die Idee mit dem Jeep gekommen. Ich weiß, das war dumm. Aber er stand dort. Alles, was ich noch brauchte, waren einige Maßnahmen, um mein Vorhaben zu kaschieren. Etwas, um das Geräusch zu übertönen, und etwas, um ihm vorübergehend die Sicht zu rauben. Die Soundmachine stand auf meinem Schreibtisch und der Vulkan lag im Jeep. Die beiden Dinge habe ich Anton überlassen. Er hat sie dort platziert. Ich hatte Todesangst, dass der Vulkan nicht lossprühen würde. Aber auch die Soundmachine hätte wahrscheinlich schon gereicht.«
    Ich konnte tatsächlich schon wieder ein bisschen lachen. »Und du hast sie wirklich dazu gebracht, dich anzuschieben, damit du den Motor nicht starten musstest.«
    »Ja.«
    »Wusstest du da schon, dass es bereits kurz vor Sonnenaufgang war?«
    »Darüber habe ich zu dem Zeitpunkt nicht nachgedacht«, antwortete Sagan. »Aber das war wahrscheinlich der Grund, warum sich die soleils so plötzlich verabschiedet haben. Mir wurde es erst bewusst, als wir unten am See standen und Moreau irgendetwas von Tagen, die zu Ende gehen, faselte.«
    »Deshalb hast du auch dein Handy rausgeholt.«
    »Ja, um die Uhrzeit zu prüfen. Von dem Moment an habe ich gewusst, dass die Sonne gerade aufging. Weißt du noch, was ich dir erzählt habe? Dass man jegliches Zeitgefühl verliert, wenn man sich in einer Höhle aufhält? Endlich hatte ich einmal einen Vorteil gegenüber Moreau. Das war mein Territorium und ich war ihm einen Schritt voraus. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob er uns ins Wasser folgen würde. Ich habe einfach gehofft, dass es auch im anderen Fall schlecht um ihn stehen würde und wir in Sicherheit wären …«
    Mit Mühe schob ich die Hand in die Tasche meiner nassen Jeans und zog die Taschenuhr hervor. Sie ließ sich nicht mehr öffnen. Offenbar war sie beschädigt worden.
    »Oh nein, verzeih mir. Sie ist kaputt«, rief ich und hielt sie hoch, damit Sagan sie sehen konnte.
    Er runzelte die Stirn und dann lachten wir beide. So sehr, dass mir die Tränen kamen. Sagan musste mich lange sehr fest im Arm halten, bevor ich aufhören
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