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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich
Autoren: Ravensburger
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aber zu viel Angst, dass ich stolpern und ihn fallen lassen würde. Das Loch in meinem Fuß fühlte sich an, als steckte der Nagel noch darin.
    Wir blieben stehen und lauschten … Außer dem Tosen der Flammen in der Ferne war nichts zu hören. Weiter ging es.
    Am Ende des langen Tunnels hob sich die Decke und war plötzlich gut zehn Meter hoch, dafür war der Boden jetzt nicht mehr glatt und eben. Überall lagen große Gesteinsbrocken im Weg.
    In der Gerölllandschaft kamen wir nur langsam voran. Wir mussten klettern, manchmal sprang ich. An den schwierigsten Stellen half ich Sagan. Moreau konnte jeden Moment hier sein – aus einem Seitentunnel auftauchen, sich durch eine Spalte in der Decke herablassen oder uns aus einem Loch im Boden an den Knöcheln festhalten.
    Immer tiefer drangen wir in die Höhle vor, bis ich vor Furcht und Orientierungslosigkeit am liebsten laut aufgeschrien hätte. Irgendwo gab es Steinschlag. Nur für den Bruchteil einer Sekunde, dann war es wieder still. Die Akustik in der Höhle machte es fast unmöglich, die Richtung zu bestimmen. Wir rutschten eine lange Schräge hinunter und stolperten dabei über fußballgroße Steine. Erst als wir unten angekommen waren, war der Boden unter unseren Füßen wieder besser begehbar.
    »Gleich haben wir es geschafft«, sagte Sagan keuchend. »Sobald wir am See sind, müssen wir einfach am Ufer entlang in Richtung Norden, bis sich die Decke senkt.«
    Kurz darauf konnte ich das Wasser bereits riechen und hinter der nächsten Erhebung auch sehen.
    Der See war sogar noch größer, als ich ihn in Erinnerung hatte, und mindestens genauso unheimlich. Der Boden unter unseren Füßen war wie glatt geschliffen. Dunkle Steine führten ins Wasser. Die gesamte Grotte war in ein schwaches, grünliches Licht getaucht. Kaum vorstellbar, dass ich Sagan an diesem Ort zum ersten Mal geküsst hatte.
    »Hier entlang«, wies er mich an, nahm meine Hand und zog mich hinter sich her. »Du musst mir helfen … Selbst mit dieser Brille werde ich kaum etwas sehen können. Wir halten uns am Ufer und hinter der Zunge aus Stein ist eine schmale Lücke im Gestein, durch die wir müssen und …«
    »Und … was?«
    Die Stimme kam von hinten. Eine tiefe, raue Stimme.
    Ich drehte mich um und sah – keine zehn Meter von uns entfernt – Moreau.
    Der Vampir schien sein eigenes Licht mitgebracht zu haben. Zusätzlich zu seinem normalen lavendelfarbenen Leuchten, war sein Körper von einem hellen Schein umgeben, der offenbar von einer in ihm brennenden Glut herrührte. Er hatte keine Haare mehr und von seiner versengten Glatze stieg Rauch auf. Auch seine Kleidung hing ihm nur noch in verbrannten Fetzen am Körper. An einigen Stellen klebte sie auf seiner geschwärzten Haut fest. Er stank verkohlt.
    »Sieh mal«, begann der perdu , »was du angerichtet hast, Mademoiselle. « Er berührte sich an den Armen und ließ sie dann sinken. »Der Tag war interessant und damit besser als tausend und abertausend andere. Aber selbst interessante Tage gehen irgendwann zu Ende.« Seine Stimme stockte immer wieder und klang gequält.
    Sagan trat näher zu mir und drückte wortlos meine Hand. Ich brauchte ihn nicht anzusehen, um zu wissen, was er mir sagen wollte. Verzeih mir.
    »Es ist nicht deine Schuld«, flüsterte ich ihm zu.
    »Stimmt«, sagte Moreau. Dieses blöde supersensible Gehör. »Ihr habt euch beide Mühe gegeben. Doch nun werdet ihr diese Höhle nicht mehr lebend verlassen. Für dich, Mademoiselle, gibt es vielleicht noch eine Möglichkeit. Du bist schnell. Womöglich schneller als ich? Aber nicht, wenn du ihn trägst. Also wird es für uns zum Schluss noch einmal interessant. Es ist votre choix. Ihre Wahl. Bist du soleil oder perdu? Erbringst du das Opfer oder versuchst du dich selbst zu retten?«
    Er wartete. Ich schwieg. Ich wusste, dass nichts, was ich sagen könnte, helfen würde. Sagan wusste es ebenfalls. Er wusste, dass ich ihn niemals mit Moreau hier allein lassen würde. Das brauchte nicht extra ausgesprochen zu werden.
    »Aha.« Der Vampir ging einen Schritt in unsere Richtung.
    Sagan stellte sich zwischen Moreau und mich. Ich fluchte, weil ich merkte, dass ich heulen musste. Doch ich heulte nicht aufgrund der ausweglosen Situation … es war Sagans Geste, die mich zum Heulen brachte. Ich heulte, weil er dummerweise so tapfer war.
    Ich rechnete damit, dass Moreau mich auslachen würde, aber das geschah nicht. »Du lässt also den humain für dich entscheiden? Aber lass
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