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Verletzlich

Verletzlich

Titel: Verletzlich
Autoren: Ravensburger
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dir eins gesagt sein. Du hast nicht wirklich eine Wahl. Wenn er bleibt, wo er ist, und du ebenfalls, dann habe ich les deux . Beide. Was für mich in Ordnung ist, wenn ihr euch dafür entscheidet.«
    Sagan schwieg noch immer. Er stand vor mir und fingerte in seiner Hosentasche. Schließlich zog er sein Handy daraus hervor.
    »Oh.« Jetzt lachte Moreau. Es war ein Lachen, das nach rostigen Rasierklingen klang. »Du willst also telefonieren? Meinst du, hier unten hast du Empfang, humain? Du willst deine Freunde anrufen und sie um Hilfe bitten? Nein? Dann wähle 112; ich bitte darum.«
    Sagan wählte nicht. Stattdessen steckte er das Telefon wieder ein und drehte sich langsam zu mir um.
    »Ich wünschte, ich könnte dich besser sehen«, sagte er. »Aber ich kann nur deine Umrisse erkennen.« Er zog sich die Nachtsichtbrille ab und ließ sie fallen. Dann nahm er mich in den Arm und drückte mich fest an sich, seine Lippen an meinem Ohr.
    »Weißt du … eigentlich sollte ich an dieser Stelle sagen: ›Lauf und rette dich selbst.‹«
    Er ließ mich los und zog die Schultern zurück.
    Dann sagte er laut: »Rette mich!«
    Er nahm zwei Schritte Anlauf und sprang in den See.

33
    Atmen
    Sagan wurde von der schwarz glänzenden Oberfläche geschluckt. Fort war er.
    Ich bekam weiche Knie und mein Herz … war unter Wasser mit ihm. Nein. Nein!
    Moreau und ich starrten uns an. Dann ging er auf mich los.
    Als ich ihn wie eine nächtliche Wolke auf mich zukommen sah, wusste ich plötzlich, was Sagan meinte. Mein Verstand war wieder glasklar. Ich drehte mich um und sprang hinter ihm her in das schwarze Wasser.
    Das Wasser war so kalt, dass mir der Atem stockte. Tief unten merkte ich, wie ich von einer Strömung erfasst wurde, die mich immer weiter fortzog – in Richtung des Flusses.
    Ich konnte nur Braun und Schwarz sehen: längliche, gewellte Steine, die im Laufe der Zeit vom Wasser geschliffen worden waren. Wild ruderte ich mit den Armen, um nicht gegen die Steine gedrückt zu werden. Zu viele Gedanken strömten mir durch den Kopf. Sagan. Ertrinken. Moreau.
    Dann erblickte ich ihn, vor mir in dem Tunnel, durch den wir schossen: Sagan. Sein Körper war so seltsam verdreht, dass er kaum wie ein Mensch aussah, doch er war es. Er wand sich und strampelte und es sah aus, als würde er mit den Händen nach Halt suchen, den er gleichzeitig zu meiden versuchte, weil alles Feste tödlich für ihn sein konnte.
    Wie lange würde er unter Wasser bleiben können?
    Ich schwamm, so schnell ich konnte, mit der Strömung hinter ihm her und fühlte mich sofort besser, weil ich auf diese Weise zumindest eine gewisse Kontrolle hatte. Aber ich wusste nicht, was ich tun sollte, wenn ich ihn erreicht haben würde. Ich bemühte mich, so behutsam wie möglich nach ihm zu greifen, dennoch endete es in einem Zusammenstoß.
    Blasen stiegen aus Sagans Mund auf. Ich konnte seine Augen sehen und hätte liebend gern meinen Mund auf seinen gelegt, um ihm etwas von meiner Luft abzugeben. Doch es war unmöglich. Wir bewegten uns zu schnell, es war zu dunkel und die Strömung war zu stark. Ich konnte ihn nur festhalten und in Richtung Fluss schwimmen, in den dieser Tunnel irgendwann münden musste, in der Hoffnung, dass es nicht mehr weit wäre …
    Tatsächlich veränderte sich bald etwas. Noch immer waren wir unter Wasser, aber die glatten Felswände des Tunnels waren nicht mehr da. Die Strömung erschien mir so stark wie vorher, aber sie hatte sich mit einer trägeren, mächtigeren zusammengetan. Der Fluss . Wir hatten es bis draußen geschafft.
    Ich hatte die Finger in Sagans Gürtelschlaufen geschoben und zog ihn rückwärts gegen die inzwischen schwächer gewordene Strömung. Das Wasser war wärmer als zuvor. Am Grund konnte ich jetzt einzelne Dinge sehen: Pflanzen, kleine Gegenstände und die hölzernen Beine …
    Ein Steg. Ich konnte einen langen Holzsteg erkennen, der weit ins Wasser hinausführte. Der Boden schien jetzt anzusteigen. Bald würden wir stehen können. Ich strampelte so kräftig, wie ich konnte, um an die Oberfläche zu kommen. Mit einem Arm zog ich Sagan mit hoch – und aus dem Wasser heraus.
    Atme. Atme.
    Er hustete. Ich hatte ihn so hoch geschleudert, sobald ich den Kopf herausgestreckt hatte, dass er nicht weit vom Ufer entfernt gelandet war und jetzt bis zu den Knien im Schlamm stand. Während ich zu ihm schwamm, sah ich, dass es ihm noch schwerfiel, das Gleichgewicht zu halten. Er kippte vornüber und landete auf beiden Händen.
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