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Verkehrte Welt

Verkehrte Welt

Titel: Verkehrte Welt
Autoren: Juergen von der Lippe
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epidemieartig im Ruhrgebiet aus, das müsste man echt mal analysieren.«
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BAR-BAR
    »Was ist denn heute Abend hier los?«, fragte Donald den Barmann.
    »Ein Frauenkegelclub aus dem Rheinland«, kam es mit der charmant-holperigen Sprachfärbung zurück, wie sie Spanier annehmen, wenn sie lange in Deutschland leben.
    »Und deswegen müssen Sie deutsche Schlager in der Lautstärke spielen?«
    »Si, lo siento«, kam es mit einer Trauer zurück, zu der neben dem mediterranen nur noch der russische Mensch fähig ist. Natürlich auch alle anderen Menschen, aber dann brauchen sie handfeste Gründe.
    »Paco, mach uns mal eine Pinna Kollata für alle«, krähte die Rudelführerin und klang dabei wie Ulla Schmidt auf Speed.
    Paco hob zum Zeichen des Einverständnisses kurz die eindrucksvollen Augenbrauen und begann zu wirbeln. Die Rummelplatzbeschallung hatte gerade von Andrea Berg zu Chris de Burgh gewechselt.
    »Jetzt gehen sie bei ihren Party-Mixen schon alphabetisch vor«, dachte Donald, »ob ich bis zu Costa Cordalis wohl noch einen Dry Martini kriege? Geschüttelt natürlich, vier Teile Bombay Sapphire-Gin, ein Teil Noilly-Prat-Vermouth, mit einem Dash Olivenlake, was ihn zu einem Dirty Martini macht, und mit einer Limonenschale abgespritzt. Und zwei Oliven statt einer.«
    Und dann kam zu seiner großen Erleichterung »Sexual Healing« von Marvin Gaye. Aus der Dreiersitzgruppe ihm gegenüber löste sich eine fast schon adipöse Mitbürgerin, in mildtätigen Chiffon gehüllt, und begann solo für ihren Partner zu tanzen, mit Moves, die sie wohl für anmutig und aufreizend hielt. Bei jeder Drehung gingen die Arme über den Kopf, wie wenn sie sich eines Unterrocks entledigte, häufig schob sie sich nahe ans Objekt ihrer Begierde heran, fuhr ihm mit der Hand über Haar und Nacken, hauchte ihm wohl auch Obszönitäten ins Ohr. Der Mann saß sehr verspannt da, das Lächeln mehr eine mechanische Gebissfreisetzung, nur die Augen suchten panisch den Raum ab, in der abwegigen Hoffnung, dass kein anderer Gast Notiz nähme.
    Donald hatte sich nicht mehr so amüsiert, seit er vor vielen Jahren von Dieter Bohlens Penisbruch gelesen hatte. Seine miese Laune war einer fast chemischen Euphorie gewichen; er beschloss, sich die absolute Mehrheit der auf Exzess gebürsteten Pudelköniginnen schönzusaufen, doch noch bevor er die grundsteinlegende Bestellung an den Barmann bringen konnte, dröhnte der Schlachtruf »Damenwahl« aus den rheinischen Feuchtgebieten, und die entfesselten Windsbräute stürmten los. Mit der aus der einschlägigen Literatur bekannten Intelligenz eines Schwarms versperrten sie den flüchtenden Herren die rettenden Ausgänge und führten einen nach dem anderen ab - auf die Tanzfläche. Desmond Dekkers »You can get it, if you really want« tötete die letzten Hemmungen ab und ließ auch Miss Chiffon andere Seiten aufziehen. An der Krawatte versuchte sie den Angeschmachteten aus den Polstern zu zerren, doch der hielt sich nach Luft ringend am Tisch fest. »Du langweiliger alter Sack!«, schallte es vernehmlich zu Donald herüber. Er wandte sich um und sah nur noch den halbtoten Senior, die Enttäuschte war verschwunden. Auf der Tanzfläche zogen gerade zwei stattliche Damen einen dünnen Mittvierziger zwischen sich und tanzten Sandwich, wobei er optisch keine Rolle mehr spielte, bis auf seinen kardinalslila verfärbten Kopf, der sich von vier drallen Brüsten arretiert im Takt wiegte.
    »Un Carajillo, por favor«, wandte Donald sich an Paco.
    »Sin o con?«
    Gemeint war: den Schnaps mit oder ohne Kaffee.
    »Sin«, entschied Donald; »con«, befahl eine Stimme direkt hinter ihm, die jeden Gedanken an Widerspruch im Keim erstickte.
    Die Kegelqueen höchstselbst, flankiert von zwei Hofdamen, denen man auch Geldtransporte in Millionenhöhe anvertraut hätte, sah ihm tief in die Augen.
    »Wie sagte Cher immer? Badet ihn, pudert ihn und bringt ihn in mein Zelt! Aber dat hat noch Zeit, Schatz, erst will die Mama tanzen!«
    In diesem Moment klingelte Donalds Handy.
    »Sorry«, sagte er und ging ein paar Schritte zur Seite. »Ja?«
    »Mach hinne, zahl und komm raus, der Typ hatte nur 400 Euro in der Brieftasche, da müssen wir noch ein bisschen ackern heute Abend!«
    »Alles klar, ich komme, aber dann ziehst du dich erst um, dieser Chiffonfummel sieht echt scheiße aus.«
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