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Verkehrte Welt

Verkehrte Welt

Titel: Verkehrte Welt
Autoren: Juergen von der Lippe
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führte, ihn aber schließlich beruhigte.
    »Danke«, flüsterte er heiser und kaum hörbar.
    »Keine Ursache«, wisperte sie zurück, »ich sagte doch, der Knoten platzt, jetzt haben Sie die Chance, ein anderer Mensch zu werden!«
    »Aber vorher macht's 300 Euro für eine verhaltenstherapeutische Encounterbehandlung; Sie können das je nachdem bei Ihrer Krankenkasse geltend machen«, sagte ein Mann in einem Leopardenslip, der unbemerkt an den Tisch getreten war, »Wedenbrück mein Name, ich bin der Geschäftsführer.«
    »Warum sind Sie nicht nackt, wie die Kellnerinnen?«, fragte der frisch Therapierte, wobei es wegen der Zahnlücke ein wenig zischte.
    »Nun, ich bin vor Kurzem beschnitten worden, und da gab es Beschwerden wegen der Optik.«
    »Ah ja, na dann vielen Dank, Sie haben mir sehr geholfen, ich werde Sie gerne weiterempfehlen.«
    »Das wäre freundlich, wissen Sie, heute muss man als Gastronom sehen, wo man bleibt, die Wirtschaftskrise, das Rauchverbot, und nur mit Nacktbedienung locken Sie auch keinen mehr hinterm Ofen vor, und diese Encounter to go, wie wir unsere Actionseelenhilfe nennen, wird gut angenommen; Hedwig ist schon meine dritte fest angestellte Psychologin.«
    »Nicht Hedwig, Hermine!«, schrie die Gummifrau und knallte Herrn Wedenbrück ihre Taucherbrille an die Schläfe, »in Sachen Demenz muss ich bei Ihnen echt mal andere Saiten aufziehen, Chef!«
    Dieses eBook wurde von der Plattform libreka! für Leipzig 2011 mit der Transaktion-ID 1075178 erstellt.

BRANDHERD
    Angelika, oder Angie, wie sie sich selber nannte, stolze Besitzerin eines Nagel-Studios, hatte sich gerade die eigenen neu gemacht, als die Zeitung, in der sie nach ihrer neuen I0mm-Kleinanzeige suchte, um die Platzierung zu kontrollieren, an der Duftkerze Feuer fing.
    Mist, dachte sie, der Kleber ist noch nicht durchgetrocknet, und wenn ich jetzt nach der Feuerwehr telefoniere, brechen sie bestimmt ab, und die ganze Arbeit war umsonst. Sie schlug die Zeitung einige Male auf den Tisch, was durch den Funkenflug Gardinen und Flokati in Brand setzte. Angelika war sich - nicht zum ersten Mal in ihrem Leben - unsicher. Ein Brandherd ganz in ihrer Nähe und kein Mann. Scheiße, ich frag den Nachbarn, entschloss sie sich und machte sich, so schnell es ihre High Heels zuließen, auf den Weg. Gleich gegenüber bei Schwanke, dem Pensionär, klingelte sie Sturm. Nach einigen Minuten öffnete er, offensichtlich schlaf- und auch sonst trunken. »Können Sie vielleicht meinen Brand löschen?«
    »Gern«, sagte Schwanke, »was möchten Sie trinken?«
    »Oh, für ein Piccolöchen können Sie mich eigentlich immer begeistern, aber das ist jetzt …«
    In diesem Moment bemerkte Angie, dass unter Schwankes Badezimmertür Wasser hervorlief, und nicht wenig.
    »Herr Schwanke, unter Ihrer Badezimmertür kommt jede Menge Wasser raus«, rief Angie aufgeregt.
    »Na und, aus Ihrer Tür kommt jede Menge Rauch«, versetzte aufgeräumt der Greis, »darauf sollten wir erst mal einen nehmen, oder?«
    »Wenn Sie meinen«, sagte Angie, froh, die Verantwortung für das, was auch immer geschehen mochte, los zu sein oder richtiger, an den Mann gebracht zu haben, wo sie ihrer Meinung nach auch von Natur aus hingehörte.
    »Man soll ja gerade in Notsituationen die Ruhe bewahren, heißt es immer«, sagte sie erleichtert und folgte Schwanke in dessen kleines Wohnzimmer, sorgfältig darauf achtend, nicht mit den teuren Schuhen in die sich ausbreitenden Pfützen zu treten. Gemeinsam kippten sie zügig zwei Doppelkorn, die Angie nur mit Mühe zum Verbleib in den Eingeweiden zwingen konnte, die sonst nur Prosecco kannten und ab und zu mal einen kleinen Feigling.
    »Erst mal die Lage analysieren«, dozierte Schwanke, während er mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf und ab ging, wie er das bei höheren Offizieren in Kriegsfilmen gesehen hatte.
    »Wasser bekämpft Feuer, bei mir ist Wasser, bei Ihnen ist Feuer. Was ist sinnvoller: Ihr Feuer zu meinem Wasser zu transportieren oder mein Wasser zu ihrem Feuer?«
    »Nun, bei mir gibt es doch auch Wasser, da hätten wir doch einen Transport gespart!«
    »Sehr gut überlegt, kleine Lady, aber was machen wir mit meinem Wasser?« »Das könnte man doch erst mal abstellen und dann weiterüberlegen.«
    Der Greis pfiff anerkennend durch die Zähne. »Nicht schlecht überlegt, für eine Frau«, räumte er ein. »Haben Sie studiert?«
    Angies Selbstbewusstsein schwoll um eine Körbchengröße an.
    »Nicht direkt«, sagte sie
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