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Verkehrte Welt

Verkehrte Welt

Titel: Verkehrte Welt
Autoren: Juergen von der Lippe
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Leute.« Gitta kraulte gespielt gelangweilt ihre schwarze Irokesenbürste. »Ich hab die Keime von verschrumpelten Kartoffeln als Grundlage genommen, Forellenkaviar mit Schuhwichse schwarz gefärbt und untergemischt, für die Vinaigrette habe ich gekippten korkigen Rotwein mit altem Eigelb verrührt.« »Mmhh, nicht schlecht«, kamen die ersten Kommentare. »Klasse, wirklich, hab noch nie Kartoffelkeime gegessen«, meinte der lattenschlanke Lars, »die enthalten ja Solanin, und das kann Brennen und Kratzen im Hals, Magenbeschwerden, Darmentzündungen, Gliederschmerzen, Übelkeit, Brechreiz, Nierenreizungen, Durchfall hervorrufen, in schlimmen Fällen sogar Krämpfe und Lähmungen.« »Woraus besteht eigentlich Schuhcreme?«, wollte Max wissen, doch Dörte übertönte ihn: »Die Fischsuppe war auch ein Knaller, los, Lars, erzähl.«
    »Na ja, als Fahrradkurier krieg ich ne Menge mit«, begann Lars umständlich, »und bei einer Auslieferung sah ich zufällig, wie einer die Abfälle vom Fischrestaurant Neptun in die Tonne verklappte … und mein Heavy-Metal-Freund hat einen Kleingarten, der düngt mit Eigengülle, von dem hab ich das Gemüse. Aber diesen ganz speziellen Geschmack, der euch hoffentlich aufgefallen ist, den erreiche ich mit dem grünen Algenbelag, den ich von meinen Aquariumwänden kratze.« »Cool«, kommentierte Gitta anerkennend, »Fischvergiftung, das wird schwer zu toppen sein.«
    »Nee«, warf Max ein, »das hätten wir gerochen, wenn der Fisch zu alt gewesen wäre.« In Wahrheit hatte er etwas gerochen, aber so schlimm war das nicht gewesen, und er gönnte Lars nicht schon wieder den Tagessieg.
    »Was war mit den Spaghetti?«, fragte er, um abzulenken. »Das waren ganz normale Spaghetti aus der Frischtheke, natürlich zwei Monate überm Haltbarkeitsdatum, mit Käsesoße«, kicherte Dörte, »nur der Käse, also der Käse …« Sie holte eine Flasche Schnaps und Gläser aus dem Schrank und steigerte absichtlich die Spannung.
    »Los, spuck's aus«, forderten die Freunde ungeduldig.
    »Also gut, ich hab euch doch erzählt, dass meine Nachbarin, die alte Frau Wissmann, vier Wochen tot in ihrer Wohnung lag, bevor man sie fand, und in ihrem Kühlschrank hab ich diesen total vergammelten Käse entdeckt, und in dem war, anders als in der Alten, jede Menge Leben, und den …«
    »Boh, Dörte, du bist ja echt durch die Hecke«, lobte Gitta.
    »Mein Wildgulasch«, meldete sich Max, der Trucker, wieder zu Wort, »habe ich eigenhändig von der Strecke Köln-Warschau und zurück gekratzt, in Folie mit Piniennadeln aus der Nähe von Barcelona, die ich zu diesem Zweck immer mit mir führe, auf dem Motorblock angeräuchert und dann nach klassischem Gulaschrezept mit selbst gesuchten Pilzen vollendet. Und ich darf noch mal betonen, ich habe keinen Schimmer von Pilzen!«
    In diesem Moment wurde Gothic-Gitta blass, was aber keinem auffiel, denn sie war immer blass. Schnell griff sie sich das Schnapsglas, kippte Dörtes Grappa weg und verlangte noch einen.
    »Sag bloß, dir ist schlecht«, fragte Dörte mit leicht besorgtem Unterton. »Ich weiß nicht. Max, war in dem Gulasch auch Igel?«
    Gitta liebte Igel abgöttisch, das fiel jetzt allen wieder ein, und die Blicke richteten sich auf Max in der Hoffnung, er würde einfach verneinen.
    »Das ist doch wohl zu blöd, Gitta«, beschwerte sich Max, »du hast gerade jede Menge Müll gegessen, und der war ausgesprochen lecker, sollte aber ein Igelhäppchen dabei gewesen sein, wird Madame zimperlich. Da sieht man mal, was Einbildung ausmacht.«
    »Richtig, die Leute essen zehn Jahre altes Gammelfleisch, hübsch als Döner verkleidet, ohne Probleme, wird aber ein neuer Skandal aufgedeckt, dann fühlen sie sich eine Woche unwohl«, meinte Lars.
    »Und das sind dieselben, die ihre Steaks wegwerfen, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist«, fuhr Dörte fort. »Jeder Refluxösophagetiker, der ohne Protonenpumpenhemmer ständig ein Höllenfeuer in der Speiseröhre brennen hätte, kann sich in etwa vorstellen, was wir während der Evolution alles vertilgt haben müssen.«
    »Und immer noch tun«, kicherte Gitta, zu neuem Leben erwacht, »neulich war ich auf einem Empfang zur Eröffnung einer Ausstellung mit Antiquitäten, und auf dem Buffet gab es auf schwarzen chinesischen Löffelchen mit grünen Ornamenten angerichtete Häppchen. Da hörte ich, wie der Kurator eine Frau fragte: »Wie finden Sie die Lacklöffel aus dem 12. Jahrhundert?« Und sie völlig fertig: »Oh Gott,
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