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Verkehrte Welt

Verkehrte Welt

Titel: Verkehrte Welt
Autoren: Juergen von der Lippe
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angeguckt, wie der mit seiner Afro-Mähne immer den Pinsel stakkato gegen die Staffelei schlug, pak pak pak pak pak.«
    »Heute ist das Kult«, Hape schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf, »ich häng auch bei YouTube und schau mir die alten Folgen mit dem Koch aus der Muppet-Show an.«
    »Smörebröd, Smörebröd, römpömpöm«, ahmte Christian laut das Erkennungslied der kochenden Puppe nach und fing sich einen kritischen Blick des Museumsdirektors ein.
    »Mein Liebling«, fuhr Hape unbeirrt laut fort, »ist die Folge, wo er schon die Shrimps in den Topf geworfen hat und drei andere Shrimps kommen herein, so mit mexikanischen Hüten auf und Demoschildern mit VIVA ZAPATA, und befreien die!« Hape lachte Tränen.
    »Jetzt sag nicht …«, wandten Hape und Bruno sich an Christian. »Doch, doch«, gab dieser zu, »ich auch, bin auch regelmäßig bei YouTube und zieh mir die alten Kottan-Folgen rein.«
    In diesem Moment setzte sich die Eingangsdrehtür in Bewegung, wehte erst einen Schwall kalter Luft herein und dann sie, Sina. Die drei Freunde standen da wie vom Blitz getroffen, vom Donner gerührt und anschließend vom Defibrillator wieder ins Leben zurückgeholt. Das war nicht mehr die sinnliche 17-Jährige, die sie vor einem Vierteljahrhundert um den Verstand gebracht hatte, und doch kannten sie jede Falte, jede Pore, jede Hautunreinheit nicht nur ihres aufreizend verlebten Gesichts, sondern auch ihres von fremder Meisterhand gestrafften Körpers. Denn die Filmchen mit Sina hatten die meisten Klicks auf YouPorn, YouTubes versauter Schwester, bei der Hape, Bruno und Christian so gut wie jeden Abend vorbeischauten, nachdem sie ihr Nostalgieprogramm absolviert hatten.
    »Ich muss nach Hause, zu Frau und Kindern«, sagte Bruno, der als Erster sprechfähig aus dem Staunkoma erwachte.
    »Ich muss auch los«, sagte Christian und blickte auf seine 15 000-Euro-Breitling, »es ist schon zwanzig nach neun, und ich habe Katrin versprochen, spätestens um zehn zu Hause zu sein. Sie muss morgen früh raus, sie ist Krankenschwester, wisst ihr, und wir frühstücken immer gemeinsam. Das ist so ein Ritual von uns, das ist wegen der Wechselschicht enorm wichtig für unsere Beziehung, das versteht ihr sicher«, reihte er nervös Satz an Satz und überprüfte dabei mit der rechten Hand den Sitz der Haare, die, schräg über den Schädel gekämmt, die drohende Glatze camouflierten.
    »Feiglinge«, Hape schüttelte wieder den Kopf, »jetzt entspannt euch doch mal. Ihr habt sowieso keine Chance mehr.« Er deutete mit dem Kopf in Sinas Richtung. Neben ihr stand jetzt der blendend aussehende junge Mann, der nach ihr hereingekommen war. Sie unterhielten sich angeregt und kamen direkt auf sie zu. Sie wandte den Blick von ihrem juvenilen Begleiter, und freudiges Erkennen blitzte in ihren jadegrünen Augen auf: »Nein, ich werd nicht mehr«, rief sie ehrlich entzückt, »das Strebertrio, Bruno, Chris und Hape! Darf ich euch meinen Sohn vorstellen? Giovanni, diese drei Jungs waren mal hinter deiner alten Mutter her. Mensch, Hape, wenn ich damals gewusst hätte, dass du mal 100 Riesen für ein Bild abgreifst! Bruno, du bist 'ne große Nummer in der Werbung, hab ich gelesen, und was machst du, Chris?«
    »Ich leite das Stadtarchiv.«
    »Super, das ist immer eine sichere Sache, wenn die Stadt nicht gerade eine U-Bahn baut, wie damals in Köln.« Chris lächelte freudlos.
    »Und was machst du, Sina?«, fasste sich Hape als Erster ein Herz.
    »Ihr werdet lachen, ich habe mich mit Pornos dumm und dusselig verdient und leite seit einiger Zeit eine eigene Produktionsfirma; Giovanni ist mein Geschäftsführer. Wir produzieren Pornos für Frauen.«
    »Ah, das ist dann so ähnlich wie bei Iris Berben und ihrem Sohn, der produziert ja auch, oder?«, fragte Christian.
    »Ich bitte dich, Chris, das kann man nicht vergleichen, die ist doch viel älter!« Sina wollte sich schier ausschütten über ihren kleinen Joke. »Wollen wir unser Wiedersehen noch begießen, die schließen eh gleich?«, fragte Sina in die Runde. »Aber ich hau schon mal ab, Mama, du weißt, ich muss Sloterdijk noch anrufen, und vielleicht sieht man sich noch«, sagte Giovanni, küsste seine Mutter zärtlich auf die Wange, winkte in die Runde und war weg.
    »So, Jungs, was machen wir nun mit dem angebrochenen Abend?«
    »Tja, wir waren gerade dabei, uns zu verabschieden. Es war ein erfüllter Tag mit dir als Krönung, aber morgen wartet ein neuer Arbeitstag mit den üblichen
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