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Verkehrte Welt

Verkehrte Welt

Titel: Verkehrte Welt
Autoren: Juergen von der Lippe
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glich dem eines alten Seemanns, der mehr Zeit auf rauer See als an Land verbracht hat und jeden Schritt so elastisch anlegt, dass überraschende Schwankungen sofort aufgefangen werden können.
    »Oh shit«, sagte sie, »habe mir gerade Bandagen für die Knöchel gekauft.«
    »Was ist denn passiert?«, fragte ich und schaute von den kurzen Shorts die hübschen braun gebrannten Beine entlang bis hinunter zu den Füßen, die in hohen Basketballsneakers ohne Schnürsenkel steckten.
    »Ach Mist«, sagte sie lachend, »ich hab eine Laufanalyse machen lassen, und da hat man mir erklärt, dass ich falsch laufe, dass ich länger abrollen muss, weißt du, so ...« Sie machte es mir vor und sah dabei bezaubernd aus. »Das hab ich gestern Abend beim Joggen genauso gemacht, und jetzt tut mir alles weh, kann kaum noch laufen.«
    »Da sagst du was, die heilige Anneliese, die Schutzpatronin der Analysten aller Disziplinen, hätten sie mal besser als Hexe verbrannt statt heiliggesprochen«, sagte ich, um nach einem Blick in ihre Augen, die Verwirrung, Unmut und Langeweile widerspiegelten, nur keinerlei Hauch von Verstehen und daraus resultierendem Amüsement, meinen Versuch, witzig zu sein, abzubrechen und in die sicheren Gewässer nüchterner Information zurückzupaddeln.
    »Ich war mal bei einem Physiotherapeuten, der sagte: Sie stehen ja völlig schief, und dann hat er mich zurechtgebogen und gesagt: So stehen Sie gerade, versuchen Sie immer, diese Haltung einzunehmen, und ich fühlte mich wie Quasimodo, und am nächsten Tag konnte ich mich kaum noch rühren.«
    Ich blickte sie erwartungsvoll an, und Nina sagte: »Ja, war schön, dich zu sehen, ich muss dann mal los.«
    Was zum Teufel lief mit meiner Kommunikation falsch? Ich hatte gelesen, dass es andere Menschen sofort für einen einnimmt, wenn man ihre Gestik spiegelt und inhaltlich auf sie eingeht. Also erzählte ich immer etwas Ähnliches, nicht ohne vorher einen Witz zu machen, denn Humor steht bei allen Frauen ganz oben auf dem Wunschzettel, wie jeder weiß.
    Abends in der Kneipe erzählte ich meinem Kumpel Karl von dem missglückten Landemanöver und schloss mit der Frage: »Sollte ich meine Kommunikationsstrategien mal analysieren lassen?«
    Karl blickte von seinem Bier auf und sagte: »Das kannst du dir sparen, der Fall ist klar: Du äffst die Weiber beim Reden nach und wunderst dich, dass die das nicht spannend finden. Die sagen sich doch: Langweilig sind wir selber, ein Kerl muss kurz und knackig reden, capisce?«
    »So einfach ist das?«
    »Ja, und jetzt halt die Klappe.«
    Ich beschloss, das frisch Gelernte gleich am nächsten Tag in die Praxis umzusetzen, und wie der Zufall es wollte, traf ich Nina abends im Cinemaxx wieder. In Begleitung einer Freundin stand sie am Popcornstand. »Na, läuft es sich heute schon besser mit den frisch analysierten Füßen?«, sprach ich sie an. Ihr Blick verriet keine Freude, mich zu sehen, aber auch keine Abneigung.
    »Erinnere mich nicht daran«, sagte sie abwinkend, »schon genug, dass ich für diesen Schwachsinn auch noch zahlen musste.«
    »Viel?«, fragte ich so kurz wie möglich.
    »Na, immerhin 80 Euro, und wenn ich noch die Bandagen dazuzähle, hat mich der Spaß über 100 gekostet.«
    »Was dagegen, wenn ich unter diesen Umständen das Popcorn übernehme? Ich müsste dann natürlich in der Mitte sitzen, damit ihr auch gut rankommt.«
    Blitzartig schoss mir die Erinnerung an die Szene in »Her mit den kleinen Engländerinnen« durch den Kopf, wo der Typ ein Loch in den Boden des Popcorneimers gebohrt und seinen Dödel durchgesteckt hat und in aller Ruhe abwartet, bis die Perle neben ihm sich bis dahin durchgefressen hat. Ohne eine Antwort abzuwarten, rief ich der Bedienung zu: »Einmal die preiswerte 5-Kilo-Trommel Popcorn salzig und drei Corona, bitte!«
    »Du, lass mal gut sein«, riss mich Nina aus meinen Erinnerungen, »Dörthe und ich sind frisch verliebt, da brauchen wir keinen Typ mit 'nem Eimer Popcorn zwischen uns, capisce?«
    »Schade«, sagte ich mehrdeutig, und zur Bedienung gewandt: »Storno bitte, die Situation hat sich verändert!«
    »Moment, so geht das nicht, du hast bestellt, ich hab das gebongt, ein Eimer Popcorn und drei Corona und einer muss das jetzt bezahlen, capisce?«
    »Ist ja gut«, sagte ich, »drei Bier sind für einen gesunden Mann, der einen Eimer Popcorn vor sich hat, gerade richtig.«
    Ich zahlte und dachte noch: »Wieso breitet sich dieses blöde ›capisce‹ eigentlich gerade
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