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Verkehrte Welt

Verkehrte Welt

Titel: Verkehrte Welt
Autoren: Juergen von der Lippe
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etwas übertrieben.«
    Dann griff sie ihren Stuhl und schleuderte ihn durchs Fenster.
    Günther Krautscheid, Leiter der Spezialeinheit zur Terrorbekämpfung, gab seinen Kollegen den Befehl zum Sturm und warf selbst die Blendgranate durchs kaputte Fenster. Schon seit zwei Wochen hatten sie Informationen, die auf ein Schläfernest in der Gegend deuteten, und heute hatte der zuständige Förster den örtlichen Behörden verdächtige Aktivitäten in einer allein stehenden Hütte gemeldet. Da hatte Krautscheid keine Sekunde verloren, den Trupp sofort in Bewegung gesetzt, und gerade, als sie die Hütte unbemerkt erreicht hatten, waren ihnen die Glassplitter um die Ohren geflogen, wahrscheinlich ein Sprengstofftesttest - also sofortiger Zugriff!
    Die Operation »Rumpelstilzchen« verlief wie im Film, innerhalb von Sekunden war die Tür gesprengt, und sämtliche Seminaristen lagen gefesselt auf dem Bauch nebeneinander auf dem Waldboden. Die zierliche Rothaarige, auf deren Rücken noch ein vermummter Soldat kniete, um die Fesseln zu kontrollieren, schaute direkt in das Gesicht des neben ihr liegenden Seminarleiters.
    »Ich muss mich korrigieren«, sagte sie, »ich finde das nicht nur etwas, sondern weitaus mehr als übertrieben«, und drehte beleidigt den Kopf zur anderen Seite.
    Der Soldat klebte ihr daraufhin den Mund zu, sodass sie keine Chance mehr hatte, ihm zu stecken, was sie aus ihrem neuen Blickwinkel sah: Zwei Männer mit Bart und Burnus, die regungslos auf dem Dachgiebel des Hauses hockten, Yussuf und Günther, der sich allerdings seit einiger Zeit Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossara nannte.
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DAS LETZTE GEFECHT
    »In der nächsten Runde hast du ihn«, sagte Olli Würgener, der Meistermacher, zu seinem Schützling, »er atmet schon mit offenem Mund, mach Tempo und geh auf den Körper, das nimmt ihm die Luft!«
    »Die wievielte Runde ist das, Trainer?«
    »Die zweite, warum fragst du?«
    »Weil ich es nicht wusste, ich dachte, es wäre die achte!«
    »Na, sag mal, der Kampf geht nur über sechs Runden!«
    »Ach, tatsächlich, und wie viele muss ich noch?«
    »Noch fünf, das kannst du dir doch ausrechnen!«
    »Wenn ich das könnte, wäre ich Mathematiklehrer geworden!«
    »Würden Sie so freundlich sein, den Ring zu verlassen«, wandte sich der Ringrichter an den Trainer, »und Sie darf ich dann in die Ringmitte bitten, die Runde läuft bereits!«
    »Dann ist das wohl der Gegner«, sagte Mike »Schnecke« Schönbohm mehr zu sich selbst, fixierte Bernd, »die Lampe« Hoppmann, und nahm die Deckung hoch. Seinen Spitznamen verdankte der gedrungene 35-jährige Sportler seiner großen, steckrübenförmigen, roten Nase, die zu allem Überfluss auch oft und stark blutete. »Hallo, haben wir nicht was vergessen?«, rief Olli Würgener, der Meistertrainer, hinter ihm her und wedelte mit dem Mundschutz.
    »Sorry«, sagte Mike zum Referee, einem übergewichtigen Mittfünfziger aus Belgien, und taperte zu seinem Trainer, der ihm sorgfältig den rot gefärbten Kautschuk über die Zähne schob. Sie hatten schon oft und erbittert über Sinn oder Unsinn dieser Farbgebung diskutiert. Mike war der Ansicht, es lasse den Gegner glauben, er habe ihm schon die Fresse blutig geschlagen, mache ihm also Mut, der Trainer meinte, es signalisiere Wut und Wildheit, demoralisiere den Gegner also. Mikes Position in diesen Gesprächen war insofern die schwächere, als er dem roten Mundschutz seinen einzigen K.-o.-Sieg verdankte. Das Ding war ihm nach einem Stolperer rausgeflogen und auf dem Ringboden gelandet, der Gegner hatte entgeistert hingestarrt, weil er dachte, Mike hätte seine Zunge ausgespuckt, der Ringrichter hatte nicht rechtzeitig unterbrochen, weil er gerade einen halb vollen Plastikbecher Bier an den Kopf bekommen hatte, und dieses Zusammentreffen günstiger Umstände nutzte Mike »Schnecke« Schönbohm, um den Kampf mit einem Heumacher, wie er besonders von den Boxlaien in aller Welt geschätzt wird, vorzeitig zu beenden. In den Kämpfen danach hatte er den Mundschutz mehrfach absichtlich ausgespuckt, was ihm aber nur jeweils eine Verwarnung eingebracht hatte. Danach war der Trainer so sauer, dass er nicht mehr mit ihm gesprochen hat, woraufhin Mike ziemlich alt aussah, denn er war ein Boxer, der klare Anweisungen brauchte wie nach dem Pausengong ein: »Hierher, du Vollpfosten«, weil er sonst
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