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Verkehrte Welt

Verkehrte Welt

Titel: Verkehrte Welt
Autoren: Juergen von der Lippe
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der Welt einen Orkan auslösen kann!«
    Ein blasser Mittdreißiger mit imposanten Magenfalten meldete sich: »Könnten Sie das vielleicht anhand eines Beispiels verdeutlichen?«
    »Sehr gern. Wenn ich Ihnen jetzt zum Beispiel eine knalle, sind Sie verstimmt, fragen sich, was fällt dem Arsch eigentlich ein, und scheuern mir vielleicht auch eine. Nach dem Seminar gehen Sie nach Hause und erzählen Ihrer Frau und Ihren Kindern stolz, dass Sie es heute Ihrem blöden Seminarleiter aber mal so richtig gezeigt haben. Ihre Kinder finden Ihr Verhalten voll krass und tun es Ihnen am nächsten Morgen in der Schule nach. Diese Klopperei im Klassenzimmer nehmen 28 Kids mit ihren Handys auf und versenden sie an ihre insgesamt 288 Freunde. 186 von denen posten diesen Film sofort zu YouTube, wodurch er auf Platz 2 der Hitliste landet. Weil jetzt aber jeder gern auf Platz 1 möchte, vermöbeln nun alle Kinder jeden, der nicht schnell genug auf dem Baum ist. Innerhalb von vier Tagen hätte meine Ohrfeige dann eine Gewaltwelle ausgelöst, die eine Woche die Titelseite der Bild beherrscht.«
    Eine irgendwie alternativ wirkende Frau, die ihre Brille definitiv nicht bei Fielmann gekauft hatte, ergriff das Wort: »Mich würde jetzt schon mal interessieren, warum genau Sie ein Beispiel aus dem Gewaltbereich gewählt haben. Die Geschichte würde doch genauso funktionieren, wenn Sie gesagt hätten: Nehmen wir an, ich sehe auf der Heimfahrt einen Hund, den der Besitzer an der Leitplanke angebunden hat, ich bringe ihn mit nach Hause, die Kinder kümmern sich um ihn; dass sie ihn behalten, kommt aber wegen des Babys nicht infrage, weil der Hund es möglicherweise als rangniedriger einstuft und aggressiv werden könnte, also filmen die Kinder den Hund, stellen das Video bei YouTube rein und lösen eine Welle der Hilfsbereitschaft aus!«
    Seelig-Trömmel verbarg nicht nur die in ihm aufsteigende Woge der Aggressivität, sondern auch sein Gesicht kurz in den Händen und sagte sanft: »Vielen Dank erst mal für den Beitrag, aber erst einmal habe ich kein Baby und auch keine älteren Kinder, und wenn ich welche hätte, würde ich bestimmt keinen fremden Köter mit nach Hause bringen, von dem man nicht weiß, wie viel Ungeziefer und Krankheiten er mit sich rumschleppt …«
    »Entschuldigen Sie mal, das wird mir jetzt aber viel zu persönlich. Können wir nicht mit dem Beispiel vom Schmetterling und dem Regenwald fortfahren?«, beschwerte sich ein junger Mann im Hanf-T-Shirt.
    »Von Regenwald war bisher zumindest nicht die Rede, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie zuhören, bevor Sie sich zu Wort melden«, schnarrte Seelig-Trömmel.
    Eine perfekte Ursula von-der-Leyen-Imitation meldete sich zu Wort.
    »Ich habe elf Kinder, drei Hunde, vier Katzen, zwei Pferde und einen blinden Kanarienvogel zu Hause, von meinem Mann ganz zu schweigen, das macht 21 Hosen- und Freischeißer. Wenn Sie Chaos sehen wollen, müssen Sie bei uns vorbeischauen!«
    »Moment mal«, meldete sich der Magenfaltentyp, »ich komme auf zweiundzwanzig Scheißer!«
    »Ich habe doch gesagt, meinen Mann nicht mitgerechnet, der hat nämlich einen Anus praeter, einen künstlichen Darmausgang, wo die Brühe in so ein Säckchen läuft.«
    »Meine Damen und Herren, ich darf doch bitten«, brüllte Seelig-Trömmel fast, »so interessant ich Ihre persönlichen Schicksale finde, ich würde doch gerne weitermachen und Ihnen jetzt eine Vorstellung vom Chaos der Gefühle geben, wie man Panik auch umschreiben könnte. Machen Sie sich zunächst einmal klar, wo wir sind. In einer allein stehenden massiven Holzhütte im Wald. Würden Sie bitte einmal versuchen, die Tür zu öffnen?«, wandte er sich an den jungen Mann im Hanf-T-Shirt.
    »Sie ist abgeschlossen!«, sagte der leicht irritiert.
    »Sehr richtig, dasselbe gilt für die Fenster, es kann also niemand aus diesem Raum hinaus. Und nun möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf diese Tränengasgranate richten, vor deren Auswirkungen mich diese Gasmaske schützt, wohlgemerkt nur mich. Sollte mir jemand die Gasmaske streitig machen wollen, wollen Sie bitte noch diese Pistole beachten, mit deren Hilfe ich das verhindern werde. Und nun schön flach atmen!«
    Mit lautem Zischen entwich das Gas, und beißender Nebel begann den Raum zu füllen.
    Eine zierliche Rothaarige stand auf: »Eine Verbindung von Theorie und Praxis ist sicher vorteilhaft, Herr Seelig-Trömmler,« sagte sie in den dichter werden Nebel hinein, »aber was Sie hier veranstalten, finde ich
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