Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vergiss mein nicht

Vergiss mein nicht

Titel: Vergiss mein nicht
Autoren: Karin Slaughter
Vom Netzwerk:
nicht, wie ich mich verhalten soll«, sagte er schließlich. » Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    Etwas in seinem Tonfall traf Sara tief in ihrem Innern. Ihn so gebrochen zu sehen tat ihr noch mehr weh als ihr eigener Schmerz. Sie ging um den Tisch herum und legte ihm eine Hand auf die Schulter, aber er drehte sich nicht zu ihr um.
    Er fragte: » Hattest du den Eindruck, dass sie ihn erschießen würde?«
    Sara spürte einen Kloß im Hals, denn sie hatte sich diese Frage bis jetzt noch nicht gestellt. Jenny hatte mit dem Rücken zu ihr gestanden. Nur Jeffrey, Lena und Brad hatten einen ungehinderten Blick auf den Schauplatz gehabt.
    » Sara?«
    So wie Jeffrey sie nun ansah, wusste Sara, dass dies nicht die Zeit für Ausflüchte war.
    » Ja«, antwortete sie mit angestrengt fester Stimme. » Du musstest schießen, Jeffrey.«
    Jeffrey entfernte sich ein paar Schritte von ihr. Er drehte sich um, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und fragte: » Wahrscheinlich ist dieser Mark der Vater, oder?« Auch den Kopf ließ er gegen die Wand sinken. » Der Junge, den sie erschießen wollte?«
    Sara steckte die Hände in die Kitteltaschen und kämpfte gegen den Drang, zu ihm hinüberzugehen. Sie sagte: » Das wäre einleuchtend.«
    » Seine Eltern lassen uns nicht vor morgen mit ihm sprechen. Wusstest du das schon?«
    Sie schüttelte langsam den Kopf. Mark stand nicht unter Verdacht. Und Jeffrey konnte ja wohl schlecht einen Jungen verhaften, weil eine Waffe auf seine Brust gerichtet worden war.
    » Sie sagen, er habe schon genug durchgemacht.« Jeffrey senkte das Kinn auf die Brust. » Was kann sie nur dazu gebracht haben, so was zu tun? Was hat sie bloß erleben müssen, dass sie dachte…?« Er unterbrach sich und sah wieder Sara an. » Sie war deine Patientin, nicht wahr?«
    » Vor ungefähr drei Jahren sind sie hergezogen.« Sara versuchte, einen Gang runterzuschalten. Es würde Jeffrey eher helfen, diesen Fall wie jeden anderen durchzusprechen, als bei seiner entsetzlichen Beteiligung an dieser Tragödie zu verweilen. In diesem Augenblick zählten ihre eigenen Bedürfnisse nicht.
    Er fragte: » Von woher?«
    » Ich glaube, irgendwo aus dem Norden. Ihre Mutter hatte wohl eine ziemlich üble Scheidung hinter sich.«
    » Woher weißt du das?«
    » Eltern erzählen mir so einiges.« Sie hielt inne. » Ich wusste nicht, dass Jenny schwanger war. Ich glaube nicht, dass sie mich während des letzten halben Jahres überhaupt aufgesucht hat. Vielleicht auch schon länger nicht mehr.« Sara legte eine Hand auf die Brust. » Sie war so ein liebes Kind. Nie im Leben hätte ich mir träumen lassen, dass sie so etwas tun könnte.«
    Er rieb sich die Augen und nickte. » Tessa weiß nicht, ob sie irgendwen identifizieren kann, der gleichzeitig mit Jenny auf der Toilette war. Brad wird ihr ein Jahrbuch der Schule vorbeibringen, um zu sehen, ob ihr jemand bekannt vorkommt. Ich möchte, dass du dir das auch anschaust.«
    » Selbstverständlich.«
    » Es war so brechend voll«, sagte er und sprach ganz offensichtlich von der Rollschuhbahn. » Die Leute sind einfach verschwunden, ohne Aussagen zu machen. Ich weiß nicht, ob wir die alle wieder aufspüren können.«
    » Hast du irgendwas herausbekommen?«
    Er schüttelte den Kopf. » Bist du sicher, dass nur zwei Personen auf die Toilette gegangen sind? Jenny und noch jemand?«
    » Mehr habe ich nicht gesehen«, antwortete Sara, die sich fragte, ob sie sich nach diesem Abend je wieder irgendeiner Sache sicher sein könnte. » Ich habe die andere nicht genau gesehen. Ich nehme an, wenn sie bei mir in Behandlung gewesen wäre, hätte ich sie erkannt.« Sara hielt inne und versuchte sich zu erinnern. Aber ihr fiel nichts ein. » Sie war groß, und es kann sein, dass sie eine Baseballkappe aufhatte.«
    Er merkte auf. » Weißt du die Farbe noch?«
    » Es war dunkel, Jeffrey«, antwortete Sara. Sie wusste genau, dass sie ihn enttäuschte. Sie verstand plötzlich, warum so viele Zeugen eifrig falsche Erklärungen abgaben: Sie kam sich dumm und nutzlos vor, weil sie nicht wusste, wer das andere Mädchen gewesen war. Wie zum Ausgleich kamen ihr spontan Bilder in den Sinn, bei denen es sich um echte Erinnerungen handeln konnte oder auch nicht.
    Sara sagte: » Wenn ich es mir recht überlege, bin ich nicht einmal sicher, ob es wirklich eine Baseballkappe war. Ich habe gar nicht richtig hingesehen.« Sie versuchte ein Lächeln. » Weil ich nach dir Ausschau hielt.«
    Das Lächeln erwiderte er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher