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Vergessene Stimmen

Titel: Vergessene Stimmen
Autoren: Michael Connelly
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Klasse abgeschlossen. Sie hatte zu den besten Schülern der Hillside Prep gehört, und ihre Mutter hatte ehrenamtlich in der Cafeteria geholfen und für die Lehrerkantine oft Jerk Chicken und andere Spezialitäten aus dem Restaurant ihres Mannes mitgebracht.
    Am Morgen des 6. Juli 1988 stellten die Losts fest, dass ihre Tochter aus ihrem Haus verschwunden war. Der Hintereingang war nicht verschlossen, obwohl sie sicher waren, die Tür am Vorabend abgeschlossen zu haben. Im Glauben, das Mädchen sei vielleicht spazieren gegangen, warteten sie zwei Stunden lang in großer Sorge, aber Rebecca kam nicht zurück. Eigentlich hätte sie an diesem Tag mit ihrem Vater in dessen Restaurant fahren sollen, um dort während des Mittagessens auszuhelfen, und der Zeitpunkt, zu dem sie hätten losfahren müssen, war längst verstrichen. Während die Mutter bei Rebeccas Freundinnen anrief, um sich nach ihr zu erkundigen, stieg ihr Vater den Hügel hinter dem Haus hinauf, um nach ihr zu suchen. Als er wieder zurückkam, ohne eine Spur von ihr gefunden zu haben, beschlossen die Losts, die Polizei zu verständigen.
    Als daraufhin zwei Streifenpolizisten der Devonshire Division vorbeikamen, fanden sie keinerlei Hinweise auf einen Einbruch. Aufgrund dessen und weil Rebecca in einem Alter war, in dem sehr viele Mädchen von zu Hause wegliefen, ging die Polizei von einem Ausreißversuch aus und behandelte das Ganze als Routine-Vermisstenmeldung, wogegen die Eltern des Mädchens aufs Heftigste protestierten, weil sie fest davon überzeugt waren, dass ihre Tochter nicht weggelaufen oder freiwillig verschwunden war.
    In dieser Auffassung sollten sich die Eltern zwei Tage später auf fürchterliche Weise bestätigt finden, als die verwesende Leiche von Becky Lost auf dem Oat Mountain etwa zehn Meter von einem Reitweg entfernt hinter einem umgestürzten Baum gefunden wurde. Entdeckt wurde die Leiche von einer Frau, die mit ihrem Appaloosa den Weg verlassen hatte, um der Herkunft eines eigenartigen Geruchs nachzugehen, dem die Reiterin vielleicht keine Beachtung geschenkt hätte, wenn sie nicht kurz zuvor an mehreren Suchmeldungen für das vermisste Mädchen vorbeigekommen wäre.
    Becky Lost war weniger als fünfhundert Meter von ihrem Elternhaus entfernt gestorben. Es war nicht auszuschließen, dass ihr Vater nur wenige Meter an ihrer Leiche vorbeigegangen war, als er, immer wieder nach ihr rufend, den Hügel erstiegen hatte. An diesem Morgen war jedoch noch kein Verwesungsgeruch aufgetreten, der ihn auf seine Tochter hätte aufmerksam machen können.
    Bosch war Vater einer kleinen Tochter. Obwohl sie weit fort von ihm bei ihrer Mutter lebte, war er in Gedanken immer bei ihr. Deshalb dachte er jetzt beim Studium der Akte an einen Vater, der einen steilen Hang hinaufging und nach einer Tochter rief, die nie mehr nach Hause kommen würde.
    Er versuchte, sich auf die Mordakte zu konzentrieren.
    Das Opfer war mit einer Pistole einmal in die Brust geschossen worden. Die Tatwaffe, eine Colt-Pistole Kaliber .45, hatte neben ihrem linken Fußgelenk im Laub gelegen. Beim Studium der Tatortfotos sah Bosch auf dem Stoff ihres hellblauen Nachthemds etwas, das wie der Brandfleck eines aufgesetzten Schusses aussah. Die Eintrittswunde war direkt über dem Herzen, und die Größe der Waffe und der Wunde ließen für Bosch kaum Zweifel, dass der Tod sofort eingetreten war.
    Rebeccas Herz dürfte von der Kugel zerfetzt worden sein, als sie ihren Körper durchschlug.
    Bosch betrachtete die Fotos der Leiche sehr lange. Sie war weder an den Händen gefesselt noch geknebelt. Ihr Gesicht war dem Stamm des umgestürzten Baumes zugewandt. Sie schien keinerlei Verletzungen aufzuweisen, die sie sich bei dem Versuch, sich zur Wehr zu setzen, zugezogen haben könnte. Es gab keinerlei Hinweise auf sexuellen Missbrauch oder sonstige Körperverletzungen.
    Nachdem die Polizei schon das Verschwinden des Mädchens missdeutet hatte, schätzte sie zunächst auch die Todesursache falsch ein. Nach einer ersten Tatortanalyse gelangte sie zu dem Schluss, als Todesursache sei Selbstmord anzunehmen, weshalb die Ermittlungen in den Händen der lokalen Polizeidienststelle und der zwei Detectives blieben, die nach der Entdeckung der Leiche den Fall übernommen hatten, Ron Green und Arturo Garcia. Die Devonshire Division war damals und ist auch heute noch die ruhigste Dienststelle des LAPD. Als eine riesige Schlafstadt mit hohen Grundstückspreisen, deren Bewohner vorwiegend der oberen
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