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Vergessene Stimmen

Titel: Vergessene Stimmen
Autoren: Michael Connelly
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Zweifel an seiner Schuld wecken zu können.
    Bis zu diesem Punkt war etwas mehr als eine Woche vergangen. Rider hatte sich von dem Schock von Stoddards Schuss erholt und zeigte sich bei der Zusammenstellung des abschließenden Ermittlungsberichts gewohnt versiert. Bosch hatte den ganzen Montag damit verbracht, das Ermittlungsverfahren mit einem Detective der Internal Affairs Division durchzugehen, und wurde einen Tag später von allen Vorwürfen freigesprochen. Der Freispruch durch die IAD bedeutete, dass Bosch seitens der Polizei keine Konsequenzen zu befürchten hatte, auch wenn in der nicht abreißenden Medienberichterstattung über den Fall weiterhin die Rechtmäßigkeit des polizeilichen Vorgehens, bei dem Mackey als Köder benutzt worden war, in Frage gestellt wurde.
    Bosch war bereit, sich den nächsten Fall vorzunehmen. Er hatte Rider bereits gesagt, er wolle sich den Fall der alten Dame ansehen, die an seinem ersten Tag im Polizeidienst gefesselt und ertrunken in ihrer Badewanne aufgefunden worden war. Sie wollten sich damit befassen, sobald der Schreibkram im Fall Stoddard erledigt war.
    Abel Pratt kam aus seinem Büro in ihr Abteil. Sein Gesicht war aschfahl. Er deutete mit dem Kopf auf Riders Monitor.
    »Ist das Stoddard, woran Sie gerade arbeiten?«, fragte er.
    »Ja«, sagte Rider. »Wieso? Was ist?«
    »Das können Sie vergessen. Er ist tot.«
    Darauf sagte erst einmal lange niemand etwas.
    »Tot?«, fragte Rider schließlich. »Was soll das heißen, tot?«
    »Er wurde in seiner Zelle im Van-Nuys-Gefängnis tot aufgefunden. Mit zwei Stichwunden am Hals.«
    »War er das selbst?«, fragte Bosch. »Hätte ich ihm nicht zugetraut.«
    »Nein, jemand hat es für ihn getan.«
    Bosch setzte sich kerzengerade auf. »Moment. Er war im Hochsicherheitstrakt und sollte ausdrücklich von den anderen Häftlingen fern gehalten werden. Niemand kann an ihn …«
    »Heute Morgen hat es jemand geschafft«, sagte Pratt. »Und das ist die schlechte Nachricht.«
    Pratt hielt einen kleinen Block hoch, auf dem er sich verschiedene Notizen gemacht hatte. Er las davon ab.
    »Montagabend wurde auf dem Van Nuys Boulevard ein Mann verhaftet. Wegen Trunkenheit und ordnungswidrigen Verhaltens. Bei seiner Festnahme griff er auch noch einen der Polizisten an. Man nahm ihm die Fingerabdrücke ab und lieferte ihn ins Van-Nuys-Gefängnis ein. Er hatte keinen Ausweis und gab als seinen Namen Robert Light an. Als er am nächsten Tag dem Richter vorgeführt wurde, bekannte er sich in allen Punkten schuldig, worauf ihm der Richter eine Woche im Van-Nuys-Gefängnis aufbrummte. Die Fingerabdrücke waren zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht mit der Datenbank abgeglichen worden.«
    Bosch spürte tief unten in seinem Bauch ein Ziehen. Er spürte ein großes Unbehagen. Er wusste, wohin das führte. Pratt fuhr fort. Er griff auf seine Notizen zurück, um den Hergang zu rekonstruieren.
    »Der Mann, der sich Robert Light nannte, wurde im Gefängnis zum Küchendienst eingeteilt, weil er behauptete und auch vorführte, dass er Erfahrung als Koch hatte. Heute Morgen tauschte er dann mit einem anderen Küchenhelfer und schob den Wagen mit dem Essen für die Häftlinge im Sicherheitstrakt. Laut Aussagen zweier Wärter, die den Vorfall beobachteten, griff Robert Light zwischen den Gitterstäben hindurch, als Stoddard an die Klappe seiner Zellentür kam, um sich sein Essen zu nehmen, und hielt ihn fest. Dann stach er wiederholte Male mit einem improvisierten Messer auf ihn ein, das durch Abschleifen aus einem Löffel hergestellt worden war. Stoddard erlitt zwei Stichverletzungen am Hals, bevor die Wärter Light überwältigen konnten. Aber sie waren zu spät gekommen. Stoddards Halsschlagader war durchtrennt worden, und er verblutete in seiner Zelle, bevor Hilfe eintraf.«
    An dieser Stelle endete Pratt, aber Bosch und Rider stellten keine Fragen.
    »Wie es der Zufall will«, fuhr Pratt schließlich fort, »wurden etwa zum gleichen Zeitpunkt, in dem Robert Light Stoddard umbrachte, endlich auch seine Fingerabdrücke in die Datenbank eingegeben. Der Computer spuckte einen Bogie aus – einen Häftling, der einen falschen Namen angegeben hatte. Wie Sie sicher schon die ganze Zeit vermutet haben, war der richtige Name des Mannes Robert Lost.«
    Bosch sah Rider an, konnte ihrem Blick aber nicht lange standhalten. Er schaute auf seinen Schreibtisch. Er fühlte sich, als hätte er einen Schlag bekommen. Er schloss die Augen und rieb sich das Gesicht. Er hatte das
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