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Vergessene Stimmen

Titel: Vergessene Stimmen
Autoren: Michael Connelly
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Jetzt frage ich mich, warum es für mich zurückgehalten wurde. Was ich damit sagen will, ist vermutlich: Ich frage mich, was Sie wussten und seit wann Sie es wussten.«
    »Spielt das jetzt noch eine Rolle?«
    Bosch reckte das Kinn in die Richtung, in der Irving verschwunden war. »Möglicherweise. Ich weiß es nicht. Aber er wird sicher nicht so einfach aufgeben. Er wird zu den Medien gehen. Oder zu einem Anwalt.«
    »Er weiß, es wäre ein Fehler, das zu tun. Es hätte Konsequenzen für ihn. Er ist nicht auf den Kopf gefallen.«
    Bosch nickte nur. Der Polizeichef sah ihn kurz forschend an, bevor er weitersprach.
    »Sie scheinen sich immer noch Sorgen zu machen, Detective. Wissen Sie nicht mehr, was ich Ihnen am Montag gesagt habe? Ich habe Ihnen gesagt, ich habe Ihren Fall und Ihre Karriere sorgfältig studiert, bevor ich beschlossen habe, Sie zurückzuholen.«
    Bosch sah ihn nur an.
    »Und das habe ich auch so gemeint«, sagte der Chief. »Ich habe mich eingehend mit Ihnen befasst, und ich glaube, etwas über Sie zu wissen. Sie sind wegen einer ganz bestimmten Sache auf dieser Welt, Detective Bosch. Und jetzt haben Sie die Gelegenheit, sie zu tun, weiter Ihre Mission zu erfüllen. Spielt angesichts dessen etwas anderes noch eine Rolle?«
    Bosch sah ihm lange in die Augen, bevor er antwortete.
    »Ich glaube, was ich tatsächlich fragen wollte, betrifft das, was Sie neulich gesagt haben. Das mit den Wellen und den Stimmen, haben Sie das ernst gemeint? Oder wollten Sie mich nur anspitzen, damit ich Irving für Sie zur Strecke bringe?«
    Die Wangen des Polizeichefs begannen zu glühen. Er senkte den Blick, als er seine Antwort zurechtlegte. Dann sah er wieder zu Bosch auf, und diesmal war er es, der Boschs Blick suchte.
    »Ich habe jedes einzelne Wort ernst gemeint. Und vergessen Sie nicht: Sie kehren in Zimmer fünf null drei zurück und lösen Fälle, Detective. Dafür sind Sie hier. Lösen Sie sie, oder ich werde Gründe finden, Sie wieder loszuwerden. Verstehen Sie das?«
    Bosch empfand das nicht als Drohung. Ihm gefiel die Antwort des Chief. Sie vermittelte ihm ein gutes Gefühl. Er nickte.
    »Das verstehe ich.«
    Der Chief hob die Hand und fasste Bosch am Oberarm.
    »Gut. Dann gehen wir jetzt mal da rüber und lassen uns mit ein paar von diesen jungen Leuten, die heute Teil unserer Familie geworden sind, fotografieren. Vielleicht können sie etwas von uns lernen. Vielleicht können wir etwas von ihnen lernen.«
    Als sie in die Menge eintauchten, schaute Bosch in die Richtung, in die Irving gegangen war. Aber er war längst verschwunden.

 
     
     
     
     
     
     
     
     
    44
    Bosch suchte in drei der nächsten sieben Nächte nach Robert Lost, fand ihn aber erst, als es zu spät war.
    Eine Woche nach der Abschlussfeier in der Polizeiakademie saßen sich Bosch und Rider an ihren Schreibtischen gegenüber und legten letzte Hand an den Ermittlungsbericht gegen Gordon Stoddard an. Gegen den mutmaßlichen Mörder war ein paar Tage zuvor im San Fernando Municipal Court Anklage erhoben worden, und er hatte auf nicht schuldig plädiert. Damit hatte der juristische Eiertanz begonnen. Bosch und Rider mussten eine umfassende Anklageschrift zusammenstellen, in der alle Beschuldigungen gegen Stoddard aufgeführt waren. Diese würde dann dem Ankläger ausgehändigt, damit er sie bei den Verhandlungen mit Stoddards Verteidiger heranziehen konnte. Nach einem Treffen mit Muriel Lost sowie mit Bosch und Rider hatte der Ankläger seine Verhandlungsstrategie festgelegt. Falls sich Stoddard dafür entschied, es auf einen Prozess ankommen zu lassen, würde der Staat infolge des Tatbestands, dass er dem Opfer aufgelauert hatte, auf die Todesstrafe plädieren. Wenn Stoddard ein Todesurteil umgehen wollte, blieb ihm als einzige Möglichkeit, sich in einer außergerichtlichen Übereinkunft des Mordes ersten Grades schuldig zu bekennen, was ihm eine lebenslängliche Haftstrafe ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Haftaussetzung eintrüge.
    In beiden Fällen wäre der Abschlussbericht, den Bosch und Rider zusammenstellten, von entscheidender Bedeutung, weil daraus für Stoddard und seinen Anwalt ersichtlich würde, wie erdrückend die Last der Beweise war. Es war dieses Dokument, das sie zum Handeln zwänge und Stoddard nur die Wahl zwischen zwei gleichermaßen unerfreulichen Alternativen ließe: den Rest seines Lebens in einer Gefängniszelle zu verbringen oder sein Leben auf die extrem niedrige Chance zu setzen, in den Geschworenen
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