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Tolle Maenner

Tolle Maenner

Titel: Tolle Maenner
Autoren: Olivia Goldsmith
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1.   Kapitel
    Der Himmel war genauso weißlich grau wie die fettarme Milch, die Tracie in ihren Kaffee goss. Aber genau das liebte sie so an Seattle. Absolut kein Vergleich mit Encino, wo sich am unweigerlich knallblauen Himmel ebenso wenig Wolken zeigten wie Menschen bei ihr zu Hause. Als Einzelkind berufstätiger Eltern hatte Tracie viel zu lange in diesen Himmel gestarrt. Von leerem Blau hatte sie genug. Es vermittelte ihr immer das Gefühl, eigentlich glücklich sein zu müssen, wenn sie es gerade nicht war. Unter dem bedeckten Himmel von Seattle dagegen erschien schon die kleinste Spur von Glück wie eine Belohnung.
    Bevor Tracie sich für das College in Seattle entschieden hatte, hatte sie auch Unis an der Ostküste in Erwägung gezogen, sich dann aber nicht getraut. Sie hatte von Dorothy Parker, Sylvia Plath und den renommierten Frauencolleges im Osten gelesen. Oje oje. Eines war ihr hingegen klar: Sie wollte weg von Kalifornien, und zwar so weit weg, dass Wochenendfahrten nach Hause gar nicht erst in Frage kamen. Auch wenn sie im Gegensatz zu so mancher Märchenheldin nicht behaupten konnte, dass ihre Stiefmutter böse war; sie war allenfalls passiv-aggressiv. Schließlich hatte sich Tracie für die Universität von Washington entschieden, was ihr neben einer ziemlich guten journalistischen Ausbildung auch noch den Vorteil eingebracht hatte, dass sie dort nette Freunde kennen gelernt, einen vernünftigen Job gefunden und sich in die Stadt Seattle regelrecht verliebt hatte. Ganz zu schweigen davon, dass sie in der boomenden Musikszene auf etliche supergeile Typen gestoßen war. Klar, sinnierte Tracie, als sie den ersten Schluck ihrer morgendlichen Koffeinration nahm, klar, Seattle ist berühmt für seine bösen Jungs, seinen guten Kaffee
und seine Micro-Millionäre. Und während sie in den wolkenverhangenen Himmel starrte, dachte Tracie Leigh Higgins, dass sie eigentlich auf alle drei stand.
    Gelegentlich allerdings kam ihr der Verdacht, dass sie das mit den Prioritäten nicht so ganz hinbekam: Vielleicht sollte sie von den bösen Jungs besser die Finger lassen, ihren Kaffeekonsum einschränken und sich mit den Micro-Millionären verabreden. Stattdessen ließ sie sich ernsthaft mit bösen Jungs ein, schüttete einen latte nach dem anderen in sich hinein und schrieb über Micro-Millionäre.
    Noch einmal blickte Tracie zum Himmel auf. Ihr Freund Phil machte ihr wieder einmal Schwierigkeiten. Vielleicht sollte ich ja vom Kaffee die Finger lassen, mit den Typen von Micro und Gotonet ausgehen und Romane über die bösen Jungs schreiben, überlegte sie, während sie noch ein wenig fettarme Milch in ihr Gebräu goss. Sie spielte schon mit dem Gedanken, sich ein Schokomuffin zu kaufen, tadelte sich aber dann selbst, weil die Dinger süchtig machten und sie sie ja eigentlich nie mehr anrühren wollte. Tracie war sich nicht ganz im klaren, ob sie die Vorstellung, sich von Phil zu trennen, oder der Gedanke ans Romaneschreiben so aufregte, dass sie Trost suchte. Hatte sie wirklich den Mut, ihren Job hinzuschmeißen, um Bücher zu schreiben? Und worüber sollte sie schreiben? Nicht über ihren Exlover, entschied sie, das wäre viel zu peinlich. Tracie liebte diese Auszeit, die sie sich jeden Morgen gönnte, um überregionale Zeitungen zu lesen und aus dem Fenster des Coffee-Shops zu starren, aber wenn sie nicht bald den Hintern hochkriegte, würde sie zu spät kommen. Sie musste noch eine Kurzbiografie schreiben. Wie langweilig.
    Sie nippte noch einmal am Kaffee und schaute auf die Uhr. Warte mal. Vielleicht sollte ich von den bösen Jungs die Finger lassen und über Kaffee schreiben... ach, so früh am Morgen war das alles viel zu verwirrend. Sie war ein Nachtmensch, lebenswichtige Dinge bekam sie so früh am Tag nicht auf die Reihe. Am besten wartete sie bis Neujahr, um ein paar Vorsätze
zu fassen. Heute hatte sie erst mal einen Termin: Sie musste den Artikel über das x-te Techno-Wunderkind aus Seattle zu Ende bringen.
    Und dann würde sie sich mit Phil treffen.
    Bei diesem Gedanken überlief Tracie ein Kribbeln, worauf sie noch einmal zum Kaffee griff, der mittlerweile fast bis zur Untrinkbarkeit abgekühlt war. Sie nahm trotzdem einen letzten Schluck und fragte sich, ob sie am Nachmittag wohl früh genug wegkam, um vor dem Treffen mit Phil noch zum Friseur zu gehen.
    Sie kramte einen kleinen Post-it-Notizblock hervor und schrieb »Stefan anrufen wg. Haare schn.«, bevor sie Handtasche und Rucksack nahm und zur Tür
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