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Verfuehrung auf Probe

Verfuehrung auf Probe

Titel: Verfuehrung auf Probe
Autoren: Natalie Nimou
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recht sein, wenn wir das Haus verlassen. Ein bisschen frischer Wind um die Nase wird meine unvernünftigen, heißen Gedanken hoffentlich abkühlen.
    Ich muss mir nichts aus dem Schrank zusammensuchen. Eric reicht mir einen feuerwehrroten Schneeoverall und dicke, grüne Fäustlinge. Also, was sich diese norwegisch-französische Familie bei den Farben gedacht hat … Als ich ausgehfertig bin, sehe ich aus wie ein dicker, kleiner Wichtel. Eric dagegen sieht aus wie … ein großer, dicker Wichtel.
    Er wartet bereits vor der Tür auf mich. „Zieh einfach zu. Abschließen ist hier oben unnötig. Hierher verirrt sich höchstens mal ein Elch.“
    „Hier gibt es Elche?“ Ich hinterlasse klobige, ovale Abdrücke im Schnee.
    „Du bist im Land des Weihnachtsmanns “, lacht Eric. Er zieht einen Schlitten hinter sich her, auf dem ein großer, verschlossener Korb steht. „Was hast du denn gedacht, welche Tiere hier oben im Wald leben?“
    „Kleine Häschen und kleine, zahnlose Rehe?“ Ich habe mal wieder Mühe, mit Eric Schritt zu halten. Unter diesen Umständen ist es sogar noch schlimmer als in Paris und, trotz der Kälte, fange ich schon wieder an zu schwitzen.
    Als wir das Grundstück verlassen, geht es besser. Wir wandern eine schmale Straße bergauf und mir wird ganz schlecht, als ich jetzt, bei Tageslicht, den Abhang daneben sehe. Nicht auszudenken, wenn der Wagen ins Schleudern gekommen wäre.
    Nachdem wir eine ganze Weile schweigend nebeneinander hergegangen sind, macht Eric durch ein Räuspern auf sich aufmerksam. Fragend sehe ich zu ihm hin. Seine Haut ist gut durchblutet, seine Wimpern glitzern frostig. Dann beginnt er zu reden.
    „Der Anzug, den du trägst, gehörte meiner Schwester. Patricia und ich waren Zwillinge. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht. Sie ist verbrannt, unsere Eltern sind im Krankenhaus gestorben. Ich hatte Glück. Ich wurde rechtzeitig wach, aber nicht rechtzeitig genug, um sie zu retten. Am Ende bin ich allein aus dem Haus gerannt. Es war mein Elternhaus, in der Bretagne. Patricia und ich hatten zu viel getrunken, um noch nach Hause zu fahren. Also sind wir über Nacht geblieben. Es war Brandstiftung. Die Täter wurden gefasst. Jugendliche, die aus Jux mit Feuerwerkskörpern herumgespielt haben. Einer davon landete in Patricias Zimmer.“
    Ach, du lieber Himmel. Ich schlucke und nehme Erics Hand. Eltern und Geschwister zu verlieren ist schon grauenvoll genug, aber einen Zwilling - ich habe mal davon gelesen, dass das ist, als verliere man einen Teil von sich selbst.
    „Das ist schreckl ich“, stammele ich schließlich.
    „Es ist sechs Jahre her. Mein Elternhaus existiert nicht mehr, nur noch das Grundstück. Ich war nie wieder da. Und es ist das erste Mal, dass ich wieder hier in Norwegen bin. Die Erinnerungen sind stärker, schöner und zugleich schmerzhafter als ich es nach all der Zeit erwartet habe. Ich glaube, dass darum – dass wir – also gestern Nacht …“
    „Schon gut, Eric“, meine Stimme klingt belegt, „ich kann dich verstehen.“
    Ich drücke seine Hand und er erwidert den Druck.
    Die Situation ist so traurig und ich schäme mich fast dafür, dass ich so etwas wie Stolz empfinde, dass er mir seine Leidensgeschichte erzählt. Und mit mir geschlafen hat, um … um die schlimmen Erinnerungen zu übertünchen.
    Nach ein paar Wegbiegungen hält Eric plötzlich an. Links von uns sieht man direkt in das Tal. Die Sonne bringt den Schnee zum Glitzern.
    „Wir sind da. Die Aussicht ist hübsch, nicht wahr?“ Eric klappt den Korb auf und holt zwei Klappspaten heraus. Wie befürchtet, ist einer für mich. Allerdings ist mir schleierhaft, was jetzt folgt.
    „Bauen wir einen Schneemann?“, frage ich skeptisch. Zuzutrauen wäre es meinem Begleiter. Ich meine, wenn jemand aussieht wie ein Wichtel …
    „Wir graben ein Schneeloch.“ Wie ein Besessener beginnt er den Schnee wegzuschaufeln. Anscheinend glaubt er, das Geheimnis gelüftet zu haben, ich allerdings verstehe noch immer nichts.
    „Hilf mir“, fordert er mich auf. Seine Wangen glühen. Er sieht hinreißend aus, sofern man das überhaupt von einem Mann sagen kann. Doch genau so ist es. Sein schönes, männliches Gesicht unter der hellbraunen Pudelmütze sieht ein wenig melancholisch aus, was es nur noch attraktiver macht.
    Um nicht weiter nachdenken zu müssen, falle auch ich über den Schnee her. Ich schaufele, bis auch mein Gesicht glüht.
    „Das dürfte reichen“, entscheidet Eric, als wir bis zu den Hüften
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