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Verdammt wenig Leben

Verdammt wenig Leben

Titel: Verdammt wenig Leben
Autoren: Ana Alonso , Javier Pelegrin
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von beiden schien sich dessen bewusst zu sein.
    »Ich habe deine Gefühle verletzt.« Jason ging einen Schritt auf sie zu. Er glaubte eine Unsicherheit an ihr bemerkt zu haben und sah plötzlich doch noch einen Hoffnungsschimmer. »Ich weiß nicht, vielleicht wollte ich einfach nicht wahrhaben, wie hart das alles für dich war. Ich habe zu lange nur mein eigenes Ding gemacht und nicht gemerkt, was um mich herum vorging. Aber jetzt kann alles anders werden. Ich weiß jetzt, dass man auch anders leben kann, dass man es wenigstens versuchen muss. Wir beide zusammen, Alice. Ohne Zeugen, ohne Kameras. Wir können ganz neu anfangen. Lass mich dir zeigen, dass es möglich ist.«
    »Ich weiß nicht, wovon du redest.« Alice’ Augen waren wieder kalt und berechnend. »All das hier ist ein Traum, Jason, ein absurder Traum. Die Zeiten, in denen die Menschen selbst über ihr Schicksal entschieden haben, sind ein für alle Mal vorbei. Jetzt steht alles geschrieben. Alles. Auch dein Tod, Schätzchen. Glaub mir und nimm’s nicht persönlich.«
    Es entstand ein Schweigen, das schwer wog wie Blei.
    »Ich glaube dir nicht«, sagte Jason schließlich. »Es ist sehr wohl persönlich gemeint. Du willst, dass ich sterbe. Du willst mich sogar jetzt töten, obwohl wir nicht gefilmt werden.«
    »Ich improvisiere nur und reagiere auf eine überraschende Wendung, ohne meinem Drehbuch untreu zu werden. Ich versuche meinen Produzenten nicht zu enttäuschen. Und auch Minerva nicht.«
    Der Name seiner früheren Drehbuchautorin ließ Jason aufhorchen.
    »Minerva?«, wiederholte er, ohne zu verstehen. »Du meinst, sie hätte die Szene mit meinem Tod geschrieben? Da irrst du dich, Alice. Da irrst du dich gewaltig.«
    »Und wenn schon. Es ist mir egal, wer mein Drehbuch schreibt. Im Gegensatz zu dir bin ich nicht heimlich in meinen Drehbuchautor verliebt, Jason. Ich mache nur meinen Job. Mach es mir nicht schwerer, als es sowieso schon ist. Lass uns zum Ende kommen.«
    Jason sah, wie sie zum Zielen ein Auge zusammenkniff. Erst in diesem Moment wurde ihm klar, dass sie es ernst meinte. Alice würde abdrücken, sie würde ihn gleich erschießen, wenn er sie nicht daran hinderte …
    Mit einem gekonnten Sprung stürzte er sich auf sie und warf sie zu Boden. Ein paar Sekunden lang rangen sie miteinander. Alice war überraschend stark und wehrte sich wütend, fast verzweifelt. Ihre Finger umklammerten die Waffe wie eine unmenschliche Kralle. Jason versuchte jeden Finger einzeln vom Griff des Revolvers zu lösen, doch vergeblich.
    Plötzlich fiel ein Schuss. Alice hatte an der Hand gezerrt, mit der er ihr die Waffe entreißen wollte, und dabei hatte er versehentlich den Abzug betätigt. Es war ein leises, fast lustvolles Stöhnen zu hören. Alice’ Körper sank in sich zusammen und kippte wie ein Sack nach hinten. Das linke Revers ihres weißen Mantels war mit Blut durchtränkt.



Jason rappelte sich auf, stolperte über eine umgestürzte Lampe, wich ein paar Schritte zurück und blieb stehen. Seine Lippen zitterten genau wie seine Hand, die noch den Revolver hielt. Er ließ ihn zu Boden fallen. Auf Alice’ Brust erschien ein immer größer werdender Blutfleck mit unregelmäßigen Umrissen wie ein purpurroter Kontinent in einem Ozean aus Elfenbein.
    Es dauerte eine Weile, bis er das Vibrieren des Handys in der linken Hosentasche spürte, und dann noch einmal, bis er darauf reagierte. Er konnte den Blick nicht von Alice wenden. Ihr Hals war so seltsam abgeknickt, dass ihr Gesicht zum Boden gedreht war, fast ganz unter ihren Haaren verborgen. Als das Gerät nicht aufhörte zu vibrieren, zog er es irgendwann aus der Tasche und tippte mechanisch auf den grünen Button. Allerdings brachte er kein einziges Wort heraus. Er hielt es einfach in der Hand, es war ihm völlig gleichgültig, was derjenige am anderen Ende der Leitung über die Stille denken mochte.
    »Jason«, sagte eine weiche Stimme, die er schon beinahe vergessen hatte. »Jason, hörst du mich? Du musst da weg.«
    Wie betäubt starrte Jason das Telefon an. Auf dem holografischen Interface war niemand zu sehen. Aber die Stimme gehörte Minerva, da war er sich ganz sicher. Er ertappte sich dabei, wie er argwöhnisch zu den fest installierten Kameras an der Zimmerdecke hinaufsah. Seltsam, die roten Lämpchen waren erloschen.
    »Hab keine Angst«, sagte die Stimme zu ihm, »du wirst nicht mehr gefilmt. Hör mir gut zu, Jason. Du musst da weg, und zwar sofort, verstehst du? Nimm Alice’ Gleiter. Er
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