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Verdacht auf Mord

Verdacht auf Mord

Titel: Verdacht auf Mord
Autoren: Wahlberg
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dann eher lästig gefunden, ihnen, weil sie es erwarteten und er in ihrer Schuld stand, das Haus überlassen zu müssen, wenn er und Nina selbst dort sein wollten. Zum Schluss kam es zum Eklat. Er hatte sich teilweise rausgehalten und seiner Mutter und Nina das Gezeter überlassen.
    Die erste Reise der Saison zum Sommerhaus in Tofta erfolgte unter andächtigem Schweigen. Die karge Schönheit der Insel beeindruckte ihn jedes Mal. Vielleicht auch mit jedem Jahr mehr. Das weiße, klare Schimmern, das dem vom Meer umrahmten Kalkstein entströmte. Die üppigen Wiesenblumen am Straßenrand. Blauer Heinrich, hoch aufragend wie ultramarine Fackeln, Akeleien mit ihren zarten blauen, rosa und weißen Blüten, die rotlila Sterne des Waldstorchschnabels, das Weiß der unechten Kamille, die sich leicht mit Gänseblümchen verwechseln ließ, das durchdringende Rot des Mohns und dann natürlich die Kornblumen. Die klassischen Blumen des Mittsommers. Gelegentlich schaute er in sein altes Pflanzenbuch, das er im Sommerhaus liegen hatte.
    Nina saß milde lächelnd neben ihm. Die Jahre waren verstrichen, aber sie hatte sich nicht sehr verändert. Sie hatte sich besser gehalten als er. Im Großen und Ganzen hatten sich nur ihre Farben verändert, waren langsam verblichen. Die Haut war dünner und weißer geworden. Das Haar war nicht grau wie seines, sondern von einem unbestimmbaren, matteren Braunton als früher. Sie trug immer noch eine Pagenfrisur, und das Haar bedeckte ihre Stirn. Aber ihre Zartheit trog. Sie war eine starke Person und vermutlich mutiger als er.
    Bodén warf einen Blick auf Ninas Hände, die in ihrem Schoß lagen, und schaute dann wieder durch die Windschutzscheibe. Die schmalen Verlobungs- und Eheringe aus Gelbgold sahen abgenutzt aus und hatten ihre endgültigen Plätze eingenommen, indem sie sich in ihren linken Ringfinger eingegraben hatten. Sie besaß lange und gerade Finger. Schöne Hände voller Kraft. Sie hatten ihm schon immer gefallen, aber jetzt fiel ihm auf, dass er sie schon lange nicht mehr berührt hatte. Es hatte sich einfach nicht ergeben. Plötzlich sehnte er sich danach. Er fühlte sich wie ein empfindsames Kind mit offenem Sinn. Deswegen legte er vorsichtig seine Hand auf die ihre. Seine warmen, breiten Finger auf ihre kalten. Er verspürte ein leichtes Zucken, aber sie entzog ihm ihre Hand nicht. Kurz erwiderte sie seinen Händedruck, nahm dann aber rasch ihre Hand weg, als hätte sie sich verbrannt. Mit unerwartetem Eifer oder aus reiner Spontaneität begann sie plötzlich mit beiden Händen in der Luft herumzufuchteln.
    »Welch ein Glück, dass wir all das hier haben«, sagte sie in einem Ton, der ihm übermäßig exaltiert vorkam.
    Sie breitete ihre Arme aus und deutete auf die in schwaches Sonnenlicht getauchten Wiesen, die sie umgaben. Er sah die Schafe, die bei der einsamen, weiß gekalkten Mühle grasten. Wie ein gespitzter Bleistift tauchte dann der Kirchturm von Tofta auf. Noch ein Stück weiter, kurz vor dem Campingplatz, bog er auf ihren schmalen Kiesweg ab, der geradewegs zu ihrem Sommerhaus und dem Ufer führte.
    Er bremste an der Kreuzung, bei den Briefkästen: Ohrenkneifer und ein paar feuchte Reklamezettel für Gartenmöbel und eine Pizzeria, sonst nichts. Er hörte, dass er sich auf dem Land befand. Der Wind in den Baumwipfeln und in der Ferne das Meer. So schlimm war es also nicht um ihn bestellt. Er konnte noch immer den Unterschied hören.
    Ein frischer Wind wehte ihm ins Gesicht, und er atmete den durchdringenden Tannennadelduft ein, ehe er die Autotür zuschlug und langsam in den Malvavägen einbog.
    Vor den meisten Häusern standen Autos. Alle waren bereits raus aufs Land gezogen. Der Sommer war da.

Zweites Kapitel
Mittsommer
    E rstaunlicherweise war Jan Bodén noch nicht an den Strand runtergegangen. Diese langen Spaziergänge hin und zurück durch den Sand zu Gnisvärds Fiskeläge wusste er normalerweise sehr zu schätzen. Seine Gedanken suchten sich dann neue Wege oder machten ganz einfach Pause, und ein Gefühl der Leichtigkeit stellte sich ein. Irgendwo hatte er einmal gelesen, dass das Auge gelegentlich die Weite brauchte, damit sich das Gehirn ausruhen konnte. Es durfte nicht ständig auf kompakte Hindernisse wie Mauern, dichte Zäune oder Hauswände stoßen. Und die Weite des Horizonts am Strand von Tofta schien fast grenzenlos zu sein.
    Nach ihrer Ankunft am Vorabend hatte Nina mit ihm an den Strand gehen wollen. Nachsehen, ob der Tang, der sich immer in schwarzen
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